Aufsätze zum Thema „Wiedervereinigung“:
Schüler der 4. Klasse der Lohr-Sackenbacher Grundschule
schrieben am 2. Oktober 1990 zum Thema:
„Ein neuer Feiertag“ (Auszüge)


Am Tag vor dem neuen Feiertag aus Anlass der Wiedervereinigung 1990 ließ der damalige Klassenlehrer der vierten Klasse der Sackenbacher Grundschule im Fach Deutsch das Thema „Ein neuer Feiertag“ bearbeiten. Zwanzig Jahre später sind diese Aufsätzchen interessante und anschauliche Zeit-Informanten über die kindlichen Vorstellungen zum Thema „Wiedervereinigung“.
„Ein neuer Feiertag“ (Auszüge):

„Gemälde“ (Wachsmaltechnik) eines Viertklässers der Grundschule Lohr-Sackenbach am 2. Oktober 1990 zum Thema „Maueröffnung bzw. Wiedervereinigung“
„Gemälde“ (Wachsmaltechnik) eines Viertklässers der Grundschule Lohr-Sackenbach
am 2. Oktober 1990 zum Thema „Maueröffnung bzw. Wiedervereinigung“


„Morgen ist der 3. Oktober. Wir Kinder haben schulfrei, weil an diesem Tag die DDR mit der BRD vereint wird. Um 12 Uhr heute um Mitternacht wird ein Fest in Berlin gefeiert. Ein Feuerwerk wird auch veranstaltet. Viele Politiker kommen zusammen.Vor ein paar Jahren war ein Krieg ausgebrochen. Aber die Amerikaner und die Russen taten sich zusammen. Hitler ließen sie sterben. Die Höchsten setzten sich zusammen an einen Tisch und teilten Deutschland auf. Die Amerikaner bekamen die Westseite und die Russen die Ostseite (von Deutschland). Aber die Westseite verbesserte sich Schlag auf Schlag, baute Fabriken und viele Häuser. Auf der Ostseite blieb es so schlecht. Da dachten sich die Russen, wir gehen wieder in unser Land zurück. Und die Amerikaner gaben den Deutschen ihr Land auch zurück.“

„Morgen ist der 3. Oktober. Wir Kinder haben schulfrei, weil an diesem Tag die DDR auch zu der Bundesrepublik Deutschland dazugehören wird. Die Mauer wird an diesem Tag weg sein. (...) Nach dem Krieg ist zwischen Berlin und der DDR eine lange Mauer gebaut worden. Die DDR hatte es nicht so schön eingerichtet wie wir.“

„...Als die DDR-Bürger Fernsehn geschaut haben, haben sie einmal rüber (in die BRD) geschaltet und haben gedacht: Was haben die für ein schönes Programm, und wurden unzufrieden. Und wollten rüber zu uns schwimmen und wurden erschossen. Das haben sie so oft gemacht, bis die Grenzen geöffnet worden sind.“

„... Die DDR-Bürger freuen sich jetzt bestimmt, (denn sie) konnten nicht nach Deutschland (BRD) und ihre Verwandten besuchen. Es gibt auch kein DDR-Geld mehr. Die DDR-Bürger haben auch sehr wenig verdient. Die meisten sind deswegen nach Ungarn geflüchtet.
In der DDR gibt es nur Tralbis (Trabis), die sehr viel Geld kosten und viel Dreck an die Umwelt abgeben. Deswegen stinkt es in der DDR auch so. Der Feiertag (Tag der deutschen Einheit) wurde oft verschoben.“

„... In der DDR ging es den Leuten sehr schlecht. Sie haben sogar versucht über den Stacheldraht(zaun) zu klettern und nach Deutschland (BRD) zu flüchten. Die meisten wurden dabei erschossen und das war schlimm. Sie durften auch nur nach Ungarn in Urlaub fahren, nämlich die hatten auch einen Zaun. Aber eines Tages machten die Ungarn ihren Zaun auf und alle Leute flüchteten. Da hat die DDR ihren Zaun auch abgerissen, weil es sonst keinen Zweck mehr hätte, ihn noch stehen zu lassen. Das alles war endlich nach 40 Jahren geschehen. (...)“

Seite aus „UNSERE FIBEL“ (für die 1. Klasse), Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin, 1989
Seite aus „UNSERE FIBEL“ (für die 1. Klasse), Volk und Wissen,
Volkseigener Verlag Berlin, 1989
Darstellungen der sozialistischen Kinderorganisation „Pioniere“ und aus dem militärischen Bereich zur Veranschaulichung von Zahlen. (Aus dem Schülerbuch „Mathematik, Lehrbuch für Klasse 1“, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin 1990)

Darstellungen der sozialistischen Kinderorganisation „Pioniere“ und aus dem militärischen Bereich zur Veranschaulichung von Zahlen. (Aus dem Schülerbuch „Mathematik, Lehrbuch für Klasse 1“, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin 1990)

Mit Wandbildern, Schulbüchern und Gegenständen aus dem DDR-Schulleben ermöglicht das Lohrer Schulmuseum in Form einer Sonderausstellung noch bis zum 25. Oktober 2010 interessante Einblicke in ein sozialistisches Bildungssystem und zeigt die vielfältigen Möglichkeiten politischer Indoktrinationen auf, die heute, hoffentlich und endgültig, der Vergangenheit angehören - denn der gewünschte mündige Bürger setzt eine andere Erziehung voraus, in der kein Platz für linke und rechte Ideologen ist.
Im Übrigen passt die Ausstellung gut in das Gesamtkonzept des Museums, das, auch wegen seiner gesellschaftlich-politischen Ausrichtung auf die Zeit von 1789 bis 1989, heute national wie international zu den attraktivsten Schulmuseen zählt.

Am 3. Okt. 2010 können Museumsbesucher während der regulären Öffnungszeit überzählige DDR-Schulbücher aus den Beständen des Schulmuseums erwerben, vor allem Buchausgaben von 1990, die wegen der politischen Entwicklung nicht mehr in den Schulen eingesetzt wurden bzw. verwendet werden durften.

Ein ergänzender Beitrag zur derzeitigen Sonderausstellung
„Die sozialistische Schule der DDR“ im Lohrer Schulmuseum:
Schulbuch und Ideologie 1990 in der DDR Auszüge aus dem Rechenbuch der 1. Klasse „Mathematik, Lehrbuch für Klasse 1“, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin 1990 belegen, dass die Buchautoren sich offensichtlich der politischen Veränderungen und deren Auswirkungen nicht bewusst waren und Darstellungen der sozialistischen Kinderorganisation „Pioniere“ und aus dem militärischen Bereich zur Veranschaulichung von Zahlen benutzten  – in den Rechenbüchern für die 1. Klasse der damaligen BRD unvorstellbar!
Auch in 1990 gedruckten Schülermusikbüchern finden sich typische Musikstücke aus dem ideologischen Repertoire der DDR, so „Ich trage eine Fahne, und diese Fahne ist rot“, „Musik zum Marschieren“ - (Parademarsch der NVA), „Der kleine Trompeter“, „Hoch soll sie leben“ (die DDR) usw.
Darstellungen der sozialistischen Kinderorganisation „Pioniere“ und aus dem militärischen Bereich zur Veranschaulichung von Zahlen. (Aus dem Schülerbuch „Mathematik, Lehrbuch für Klasse 1“, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin 1990)
Darstellungen der sozialistischen Kinderorganisation „Pioniere“ und aus dem
militärischen Bereich zur Veranschaulichung von Zahlen. (Aus dem Schülerbuch
„Mathematik, Lehrbuch für Klasse 1“, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin 1990)
„Der Parademarsch der Nationalen Volksarmee“. (Aus dem Schülerbuch „Musik 2“ für die 2. Klasse, herausgegeben vom Volkseigenen Verlag Berlin 1990)
„Der Parademarsch der Nationalen Volksarmee“. (Aus dem Schülerbuch „Musik 2“ für die 2. Klasse, herausgegeben vom Volkseigenen Verlag Berlin 1990)
Die Grenzsicherungen der DDR
Im Mai 1952 eröffneten die DDR-Machthaber eine dreiwöchige Propagandakampagne gegen die BRD. Unter dem Vorwand, dass der Arbeiter – und Bauernstaat vor „Agenten, Spionen und Diversanten“ aus der BRD geschützt werden müsse, befahl der DDR-Ministerrat am 26. Mai 1952  „Maßnahmen an der Demarkationslinie“, die u. a. einen 10-Meter breiten Kontrollstreifen, einen 500 Meter breiten Schutzstreifen und eine 5 Kilometer-Sperrzone beinhalteten.
In den folgenden Jahren wurden die Grenzanlagen verstärkt durch Alarmanlagen, Straßensperren, Sprengfallen, Wachtürme usw. Trotz aller Absperrmaßnahmen, gelang es der Führungsriege der DDR-Kommunisten nicht, die Massenflucht aus der damaligen Sowjetzone nachhaltig einzudämmen.
Die „Sicherung der Staatsgrenze West“ und der „Schutzwall gegen Agenten und Saboteure aus der Bundesrepublik“ hatte ein großes Loch: Berlin.
Am 13. August 1961 wurde mit dem Mauerbau quer durch Berlin auch diese letzte Möglichkeit einer halbwegs gefahrlosen „Republikflucht“ unterbunden.

„Grenzsoldaten auf Friedenswacht“
Bemerkenswertes zum Thema „Grenzsicherung der DDR“ ist auch im Schülerbuch „Heimatkunde 4“, für die 4. Klasse der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule (vergleichbar mit der Volksschule in der damaligen BRD), Ausgabe 1987, zu lesen. Dort heißt es unter der Überschrift „Grenzsoldaten auf Friedenswacht“: „Die Sicherung der Staatsgrenze (am 13. August 1961) kam für unsere Gegner völlig überraschend. Es gelang ihnen nirgends, ernsthaft Widerstand zu leisten. Trotzdem versuchten unsere Feinde auch nach dem 13. August 1961 immer wieder, die Grenze der DDR zu durchbrechen.
Als sie 1964 von Westberlin aus einen Tunnel bauten, der unter der Grenze in die DDR führte, wurden sie von Grenzsoldaten entdeckt. Sofort feuerten die Agenten mehrere Schüsse ab. Der Unteroffizier Egon Schultz wurde von den Verbrechern getötet. Er war 21 Jahre alt und von Beruf Lehrer. (...) Immer wieder kam es vor, daß Grenzsoldaten bei ihrem verantwortungsvollen Dienst von Westberlin aus beschossen wurden. Außer unserem Genossen Egon Schultz wurde eine ganze Anzahl weiterer Grenzsoldaten, unter ihnen der Unteroffizier Reinhold Huhn, feige umgebracht.“
Mit keinem Wort wird in dem Schülerbuch an die Ermordung von „Republikflüchtlingen“ an der innerdeutschen Grenze durch die DDR-Grenzsoldaten erinnert.

Wie am 13. August 1961 der „Frieden“ gerettet wurde
Ein Beitrag zur Sonderausstellung „Die sozialistische Schule der DDR“ im Lohrer Schulmuseum
„Am 13. August 1961 wurde unsere Staatsgrenze zu Westberlin zuverlässig geschützt. Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse haben ihre Aufgabe gemeinsam mit den anderen bewaffneten Kräften vorbildlich erfüllt.“ (Aus dem Lehrbuch „Staatsbürgerkunde“ für Hilfsschulen, Volk und Wissen, Abteilung 1, Klasse 8, Volkseigener Verlag Berlin, 1986)
Das 25 Jahre nach dem Mauerbau aufgelegte Schülerbuch liefert auch gleich auf mehrere Seite die Begründung und Rechtfertigung dieser besonderen Grenzsicherung:
„Solange unsere Republik besteht, hetzen die Rundfunk- und Fernsehsender der BRD gegen unser Land.
Als zum Beispiel die Imperialisten die Stahllieferungen in die DDR sperrten, behaupteten ihre Sprecher im Rundfunk, unsere Arbeiter könnten die Betriebe nicht richtig leiten. Die Rundfunk- und Fernsehsender der BRD verbreiteten fast täglich Lügen über die DDR.
Besonders hetzen die Imperialisten der BRD gegen unsere Staatsgrenze. Diese Grenze schützt die volkseigenen Betriebe und das Land der Genossenschaftsbauern. (...) Die Imperialisten führen den Klassenkampf mit Lüge, Hetze und Mord. Das sind Verbrechen gegen den Frieden und den Sozialismus.“
Weitere Beispiele, Angriffe und Sabotageakte der westdeutschen „Imperialisten“ betreffend, werden in der folgenden Buchseite unter der Überschrift „Wie die Imperialisten der BRD unsere Wirtschaft schädigten“ aufgelistet:
„Im Februar 1955 gingen die neuerbauten Sendesäle des Staatlichen Rundfunkkomitees der DDR in Flammen auf. Der Täter war ein Student aus Westberlin. Er hatte sich als Agent gegen die DDR anwerben lassen.
Im Frühjahr 1955 erkrankten in unserer Republik etwa 5000 Rinder an einer bösartigen Magen- und Darmentzündung. 1200 Tiere starben an dieser unbekannten Krankheit. Der Schaden betrug 5 Millionen Mark. Eine Firma aus der BRD hatte vergiftete Erntebindfäden geliefert, durch die die Rinder krank wurden. Solche Verbrechen von Agenten aus Westberlin und aus der BRD sollten unsere Wirtschaft schädigen.
Brandstiftung und Gift waren aber nicht die einzigen Mittel, mit denen die Imperialisten den Klassenkampf gegen die DDR führten.
Durch Lügen und Hetze in den Rundfunk- und Fernsehsendern der BRD ließen sich Menschen dazu verleiten, unsere Republik zu verlassen. Viele wurden mit Geld bestochen und abgeworben. (...) In dieser Zeit erlitt unsere Republik große Verluste. Der Schaden für unsere Wirtschaft betrug viele Millionen Mark. Die Imperialisten der BRD hofften, daß unsere Republik durch diese Schädigung vernichtet werden könnte.“
Nach dieser Vorbereitung und Einstimmung wird in dem Schülerbuch die Sicherung der „Staatsgrenze unserer Republik“ 1961 beschrieben:
„Im Sommer 1961 verstärkten die Imperialisten der BRD den Kampf gegen die DDR. (...) Entschlossen handelte unser Staat.
Am frühen Morgen des 13. August 1961 standen Tausende Genossen der Kampftruppen aus den Betrieben entlang der Staatsgrenze zu Westberlin auf Wacht. Die Genossen der Deutschen Volkspolizei sorgten auf den Straßen und Bahnhöfen für Ruhe und Ordnung.
Einheiten der Nationalen Volksarmee und der Sowjetarmee standen mit ihrer Kampftechnik bereit, um jeden Angriff der Feinde abzuwehren. Auf diese Front entschlossener und kampfbereiter Männer wagten die Imperialisten keinen ernsthaften Angriff. (...) Den Agenten aus Westberlin und aus der BRD war der freie Zugang in unsere Republik versperrt.
Mit der Sicherung der Grenzen zu Westberlin und zur BRD kam unser Staat weiteren Angriffen der Imperialisten zuvor. Die Imperialisten der BRD hatten schon Pläne ausgearbeitet, wie sie unsere Republik erobern wollten. Diese Ziele konnten sie nun nicht mehr verwirklichen. Der Frieden wurde gerettet.“
Was hier den Schülern geboten wurde, kann man nur sehr bedingt nachvollziehen.
Der Wahrheitsgehalt der Argumente erscheint uns auch aus heutiger Sicht wohl sehr fraglich und weitgehend unglaubwürdig. Es waren typische Rechtfertigungsversuche eines totalitären Staates gegenüber der eigenen Bevölkerung.
Als antifaschistischer Schutzwall taugte die gesamte Zonengrenze, zumindest aus militärischer Sicht nicht, denn dann hätte die Anlage völlig anders angelegt werden müssen, wohl aber dazu, die eigenen Leute einzusperren und ihnen ein elementares Grundrecht zu verweigern.


Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen. (Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/4960 oder 09359/317, e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)

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