Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum
vom 9. September bis 12. November 2017
 

„ABC-Professoren“ und „dünkelhafte Kirchenfeinde“?
Bayerische Lehrer in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts


Einladung zur XII. Hauptversammlung des Bayerischen Volksschullehrer-Vereins in Würzburg 1893 für den Sendelbacher Lehrer Friedrich Karl Göpfert
Einladung zur XII. Hauptversammlung des Bayerischen Volksschullehrer-Vereins in Würzburg 1893 für den Sendelbacher Lehrer Friedrich Karl Göpfert
(Dazu in der Ausstellung: Quittungsbuch und Festschrift aus dem Fundus des Lehrers Friedrich Karl Göpfert)

Der wirtschaftliche Aufschwung als Folge der industriellen Revolution führte in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Erstarken des bürgerlichen Liberalismus in Deutschland.

Nach und nach wich die Reaktionspolitik der 50er Jahre neuen Reformbestrebungen in allen Bereichen des bürgerlichen Lebens. Unter diesem Eindruck war auch 1861 der bayerische Lehrerverein gegründet worden, der eine allgemeine Verbesserung der Lebenssituation der Lehrer herbeiführen und eine Lockerung der staatlichen Repressalien erwirken wollte. Fanden diese Bestrebungen im liberalen Bürgertum breite Zustimmung, so sprachen sich konservative Kreise extrem dagegen aus. Besonders die konservative Presse bombardierte die Lehrerschaft geradezu mit Beschimpfungen.
So behauptete das „Korrespondenzblatt für innere Mission“ in Neuendettelsau 1865: „Seit man den Lehrern Wohnungen gibt, die sie nicht zu möbilieren vermögen; seit man ihnen Kreise anweist, in denen sie sich weder innerlich noch äußerlich zu bewegen verstehen, seitdem sind diese gespreizten Halbwisser zu Karikaturen geworden, die um so lächerlicher werden, je mehr sie sich über das Lächeln anderer erbosen.“ Das „Augsburger Wochenblatt für den christlichen Verein“ wies auf die naturgemäß niedere und beschränkte Berufstätigkeit der Lehrer hin und glaubte, sie durch Weber, Hirten oder Schneider ersetzen zu können. Das „evangelische Schulblatt“ sprach den Mitgliedern des Lehrervereins Mannesehre, Lehrertreue und Christenpflicht ab und verwies die Lehrer bei ihren Forderungen nach besserer Besoldung auf die Hilfe Gottes. Die „Pfälzer Post“ schrieb 1879: „Was sollen wir zu jenen verkrüppelten, ungeheuerlichen Gestalten sagen, die jetzt so manchmal unter uns herumwandeln, mit hochmütig verächtlichen Mienen und geschwollenen Wesen, als hätten sie die Welt geschaffen. (...) So ein liberales Schulmeisterlein ist mitunter gar ungeheuer naseweis und frech und glaubt, weiß der Himmel welch großer Gelehrter zu sein, wenn er vor den Schulkindern das kirchliche Dogma für Dummheit erklärt, über die Jesuiten schimpft, den Bismarck verhimmelt oder gar die Bibel korrigiert.“ Bezeichnungen wie „liberale Kirchturmköpfe“, „ABC-Professoren“, „nichts lernendes und nichts vergessendes Schulmeisterlein“ oder „dünkelhafte Kirchenfeinde“ waren an der Tagesordnung.
„Die jährliche Schulvisitation“, kolorierter Holzstich 1862 – Anwesend sind neben dem Distriktsschulinspektor auch die örtlichen Vertreter der Gemeindeverwaltung.
„Die jährliche Schulvisitation“, kolorierter Holzstich 1862 – Anwesend sind neben dem Distriktsschulinspektor
 auch die örtlichen Vertreter der Gemeindeverwaltung.

Das 1866 gegründete „Vereinsblatt des Lehrervereins“ bzw. die „Bayerische Lehrer-Zeitung. Organ des bayer. Volksschullehrer-Vereines“ (ab 1867) geriet mit den Kernthemen Bildung, Besoldung, Aufsicht und Freiheit in den Fokus der konservativ-reaktionären Presse und wurde, vor allem in den Jahren von 1880 bis 1900, das Ziel heftiger Attacken.
„Der Beobachter am Main“ schrieb 1893: „'Die Bayerische Lehrerzeitung' hat sich absolut unfähig gezeigt, auch nur eine einzige schulpolitische Frage in objektiv sachlicher Weise zu behandeln. (…) Wo sie Widerstand begegnet, dort scheut sie niemals zurück, in bornierter-gehässiger Weise kirchliche Einrichtungen und Organe zu bekämpfen und die religiöse Überzeugung gläubiger Christen und namentlich von uns Katholiken aufs tiefste zu verletzen.“
Im gleichen Jahr schrieb die „Augsburger Postzeitung“: „Das liberale Lehrertum feiert fortwährend wahre Orgien der Intoleranz und des Fanatismus. Das 'parteilose' Organ des Bayerischen Lehrervereins scheint zur Zeit seine einzige Aufgabe in dem Kampfe gegen den 'Ultramontanismus und ähnliche Richtungen' zu erblicken.“
Der 1811 in Waldzell geborene Lehrer Johann Georg Söder, - seit 1835 an der Lohrer Volksschule und seit 1875 Ehrenbürger von Lohr am Main - mit seiner letzten Schulklasse 1883; Aufnahme vor der Lohrer Pfarrkirche.
Der 1811 in Waldzell geborene Lehrer Johann Georg Söder, - seit 1835 an der Lohrer Volksschule und seit 1875 Ehrenbürger von Lohr am Main - mit seiner letzten Schulklasse 1883; Aufnahme vor der Lohrer Pfarrkirche.

Die konservativen Kräfte waren aber stark genug, für lange Zeit eine Besserstellung des Lehrerstandes zu verhindern. Noch 1900 erhielt ein Lehrer im Bamberger Raum etwa 800 Mark im Jahr. „Trostlos“ lautete der Kommentar der „Münchner Neuesten Nachrichten“: „In diesem Jahr kostet ein Wintermantel  zwischen 12 und 45 Mark, ein Päckchen Zwieback zwei Mark, ein Kilogramm Butter 1,40 Mark, ein Maß Bier 26 Pfennig.“
Sogar Prinzregent Luitpold meinte 1905 bei einem Besuch des Freisinger Lehrerseminars zum dortigen Direktor: „Machen Sie meine Lehrer nicht zu gescheit“, und gab damit der Festgefahrenheit des alten Lehrerbildes Ausdruck. Erst mit dem Einzug der Demokratie in Deutschland im Jahr 1919, der Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht und der Anerkennung der Lehrer als reguläre Beamte mit entsprechender Besoldung begannen für die Lehrerschaft in Bayern und auch in den anderen Ländern Deutschlands bessere Zeiten.
Bleibt noch anzumerken, dass, unabhängig von den üblen Attacken konservativ- ultramontaner Gruppierungen gegen den Lehrerstand, im 19. Jahrhundert viele Lehrer in ihrem Wirkungskreis hohes Ansehen genossen und mit den verschiedensten Ehrungen ausgezeichnet wurden. Vor allem auf dem Land waren Lehrer, oft auch in Ehrenämtern usw., Impulsgeber für die wirtschaftliche und kulturelle Weiterentwicklung der Dörfer.
Karikatur in „Fliegende Blätter“, Verlag Braun und Schneider, München, 1878
Karikatur in „Fliegende Blätter“, Verlag Braun und Schneider,
München, 1878 Text: „Lehrer: Karl, schäme Dich,
als ich so alt war wie Du, habe ich viel besser lesen können.
Karl: Sie werden halt einen besseren Lehrer gehabt haben.“
Karikatur in „Fliegende Blätter“, Verlag Braun und Schneider, München, 1896
Karikatur in „Fliegende Blätter“, Verlag Braun und Schneider,
München, 1896 Text: „Die Strenge. Sie wird von den Kindern für
eine der unangenehmsten Eigenschaften der Lehrer gehalten.“

Mit sechs Themenkreisen und in Verbindung mit entsprechenden Exponaten in der ständigen Ausstellung des Schulmuseums ermöglicht die Sonderausstellung vielseitige Einblicke in die damalige Lebenswelt der Lehrer.

(Texte von Bert und Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main)

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen. (Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/4960 oder 09359/317, e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)


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