Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum
ab 17. September bis 26. August 2018 

„Bitte gedenket unserer Soldaten im Felde“
Kinder als Rotkreuzhelfer im 1. Weltkrieg

Offizielle Chiemgauer Postkarte zum Besten des Roten Kreuzes, 13.11.1915
Offizielle Chiemgauer Postkarte zum Besten des Roten Kreuzes, 13.11.1915

Im 1. Weltkrieg (1914 -1918) wurden auch Kinder erstmals als Helfer an der Heimatfront eingesetzt.
Vor allem beim Roten Kreuz gab es da die verschiedensten Möglichkeiten des Kindereinsatzes.
Für die häufigen Rotkreuzsammlungen glaubte man nicht auf die Kinder verzichten zu können. 1916 schrieb der Schulanzeiger für Unterfranken und Aschaffenburg in dem Artikel „Schule und Leben – Zeitgemäße Notwendigkeiten und Anregungen“: (…) eins können sie (die Kinder), das aber mit angeborenem Geschick, unermüdlicher Ausdauer und unbezwinglicher Kraft: bitten. Bittende Kinder sind eine Großmacht. Diesmal dürfen, wollen und werden sie es sein im Dienst des Vaterlandes. Laßt sie doch alle mitsiegen!“
Offiziellle Rotkreuz-Postkarte, Mädchen in Schwesterntracht
Offiziellle Rotkreuz-Postkarte, Mädchen in Schwesterntracht
Mädchen in Schwesterntracht überreicht einem kriegsverletzten Soldaten Blumen, Postkarte um 1915
Mädchen in Schwesterntracht überreicht einem kriegsverletzten
Soldaten Blumen, Postkarte um 1915

In heute kaum vorstellbarer Weise wurden Kinder erstmals in der Geschichte der Kriege auch in der Kriegspropaganda auf Postkarten benutzt, um den Krieg als etwas Lustiges, eher Gefahrloses darzustellen.
Mehr und mehr beanspruchte der Krieg die Freizeit der Schüler durch Sammlungen und Arbeitseinsätze. Immer wieder wurde über den „Schulanzeiger“ in entsprechenden Bekanntmachungen und mit Nachdruck auf diese „Kriegsmaßnahmen“ verwiesen (z.B. „Sammlung von Obstkernen“ zur Gewinnung von Öl und Fett, Sammeln von Patronenhülsen usw. bis hin zur „Verwendung der Schuljugend zu landwirtschaftlichen Arbeiten“, vor allem bei der Getreide- und Kartoffelernte, wobei die Schüler notfalls auch vom Schulbesuch befreit werden konnten.
Wie umfassend das Kriegsgeschehen insgesamt die Kinder in Freizeit und Schule in Beschlag nahm, wird auch in dem am 1. März 1915 an der Volksschule in Neustadt am Main gestellten Aufsatzthema „Was für unsere Soldaten in unserer Gemeinde Gutes getan wurde“ deutlich.
Rotkreuz-Kinderfest, Würzburger Postkarte 1916
Rotkreuz-Kinderfest, Würzburger Postkarte 1916

Eine Schülerin schrieb: „Wir leben zur Zeit in einem großen und schweren Krieg, und unsre lieben Soldaten haben auf allen Seiten unseres Vaterlandes zu kämpfen. Aber wir zu Hause vergessen sie nicht; in unserer Gemeinde wurden schon im September (1914, also ein Monat nach Kriegsbeginn) Liebesgaben, wobei viele Äpfel, Birnen, Likör und Schile (Gelee)  zusammengebracht wurde, gesammelt. Wir in der Schule sammeln jeden Sonntag Pfennige und kaufen Cigarren, die wir ihnen fortschicken. Anfangs Winter strickten die Mädchen Socken, Ohrenschützer, die ältesten machten Leibbinden. Die Soldaten bedankten sich auch herzlich. Endlich als die Wollwoche kam und wir sammelten, da bekamen wir nicht nur Lumpen, sondern auch viele wollene Decken, die den Soldaten gleich fortgeschickt werden konnten.
Aber nicht nur leiblich taten wir ihnen Gutes, sondern wir beten auch alle Tage für sie, daß sie wieder alle gesund in die Gemeinde zurückkehren.“
Die jüngste Wehr, Werbekarte für Rotkreuzarbeit und Kriegsdienst, Königreich Sachsen, 1914
Die jüngste Wehr, Werbekarte für Rotkreuzarbeit und Kriegsdienst, Königreich Sachsen, 1914

Die neue Jahres-Sonderausstellung im Gewölbekeller des Lohrer Schulmuseums belegt anhand von Dokumenten und Exponaten aus dem großen Fundus von Herrn Hospes aus Marktheidenfeld den Kindereinsatz an der Heimatfront. Armin Hospes hat über viele Jahren gezielt alles zu diesem Thema mit großem Sachverstand gesammelt. Schwerpunkt der Ausstellung sind die „Kinder als Rotkreuzhelfer im 1. Weltkrieg“.
Insgesamt eine sehr anschauliche Ausstellung, die auch die jungen Besucher anspricht.
(Texte: Bert und Eduard Stenger; Fotos: Armin Hospes, Marktheidenfeld)

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen. (Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/4960 oder 09359/317, E-Mail: eduard.stenger@gmx.net)

Überzogener Patriotismus und kritiklose Anpassung an die politischen Kräfte des Staates bestimmten von Beginn des Ersten Weltkriegs an das Schulwesen und die gesamte Erziehung in dieser Zeit. Viele Pädagogen sahen in dem Krieg die Möglichkeit einer umfassenden „sittlichen Hebung, Erneuerung, Erstarkung“ (Schulanzeiger vom 5. Okt. 1914).
Entsprechend wurden die Schulen unter dem Stichwort „Kriegsunterricht“ auf den Krieg eingestimmt. Dazu zählten auch die Kriegsaufsätze, in denen das Geschehen an den Fronten von den Schülern verarbeitet bzw. die Kampfmoral an der „Heimatfront“ über die Schule wieder gehoben werden sollte.
Eines der Themen war die Verherrlichung des „Heldentodes“.
Was die Schüler dazu zu schreiben hatten, zeigen die zwei nachfolgenden Aufsätze anlässlich der Entlassungsprüfung aus der Volksschule in Roden im Kriegsjahr 1915:
„Lieber Freund!
Ich habe gehört, daß Dein Vater im Kriege gefallen ist. Der Tod im Feld ist der schönste, den es gibt. Es gibt ja ein Wiedersehen in der Ewigkeit. Er hat ja auch für das ganze Vaterland gestritten. Es ist ja traurig für eine Familie, wenn ein Vater fern im Felde sterben muß. Und wenn der Krieg ein Ende nimmt, werden viele nicht mehr kommen. Ich bedaure Deinen Vater. Der Herr gib ihm die Ewige Ruhe. Kümmere Dich nicht so arg um das Unglück. Es können nach dem Krieg auch wieder bessere Zeiten kommen. In der Hoffnung, daß wir uns bald einander wiedersehen, verbleibe ich
Dein Freund
Michael.“

Eine Schülerin schrieb:
„Liebe Freundin!
Deinen letzten Brief habe ich erhalten und 
daraus entnommen, daß Dein lieber Bruder den Heldentod fürs Vaterland gestorben ist. Ich spreche also hiermit mein herzlichstes  Beileid aus. Tröste Dich, liebe Freundin, mit den vielen anderen Familien, deren Väter und Brüder schon gefallen sind. Es gibt ja keinen schöneren Tod auf der Welt als der Tod fürs Vaterland und gibt es in der Heimat kein Wiedersehn mehr, so gibt es doch noch ein viel schöneres Wiedersehn in der anderen Welt im Himmel. Mache es Dir also nicht so schwer und vertraue auf Gott, denn was Gott tut, ist wohl getan. Es wird schon wieder anders werden und hoffentlich wird auch der Krieg bald ein Ende nehmen.
Laß bald wieder einmal was von Dir hören.
Es grüßt Dich
herzlichst
Deine treue Freundin
Anna.“

Unter der Überschrift „Kriegsaufsätze für die Volksschule“ schlug der Schulanzeiger für Unterfranken und Aschaffenburg 1915 weitere „wichtige“ Themen zur Bearbeitung in den Deutschunterrichtsstunden vor: „Die Russen in Ostpreußen, Hindenburg (Bildbesprechung), Kriegsernährung, Die Metallsammlung, Das Feldpostpaket, England will uns aushungern, Deutscher Heldenmut, Morgen marschieren wir, Morgenrot, Der Abschied, Freude im Schützengraben, Im Lazarett, Unsere Verwundeten, Eine Kriegerbeerdigung, Ein Soldatengrab, Ich hatt' einen Kameraden,“ usw.

Was der „Heldentod“ in Mark und Pfennig wert war, hatten die Volksschüler ebenfalls bei der Schulentlassungsprüfung 1915 zu errechnen:
„Ein Vater hat seine 3 Söhne im Felde bei der deutschen Kriegsversicherung versichert und zwar den jüngsten mit 15 M, den 2ten mit 25 M und den 3ten mit 35 M. Die 3 Söhne fallen.
Was erhält der Vater, wenn der 26 4/5 fache Betrag der Einzahlung ausbezahlt wird?“
Dem Vater wären der Rechnung zufolge für seine drei gefallenen Söhne 2010 Mark oder 670 Mark für einen toten Sohn von der deutschen Kriegsversicherung ausbezahlt worden.

Als der Bewegungskrieg bei Verdun in einen verlustreichen Stellungskrieg überging, und das strapaziöse Leben in Schützengräben und Erdlöchern die Soldaten demoralisierte, wechselten die Kriegspädagogen das Thema. Durchhalteparolen waren nun gefragt, entsprechend war auch das Aufsatzthema zur Abschlussprüfung an den Volksfortbildungsschulen im Jahr 1916:
„Dein Bruder, der im Felde steht, wird mutlos; schreibe ihm einen ermunternden Brief!“
Ein Neustädter Schüler schrieb:
„Lieber Bruder!
Wie wir aus Deinem letzten Briefe vernommen haben, will Dir der Mut sinken, worüber wir sehr erschrocken sind. Du warst doch immer so sehr diensteifrig, Du gingst doch immer kampfesmutig vom Elternhause fort und warum willst Du jetzt nicht mehr ausdauern und ausharren bis wir den Sieg errungen haben?
Lieber Bruder! Deine Kameraden müssen doch auch draußen sein und müssen das Gleiche mitmachen wie Du. Denke nur an, wenn jeder Soldat sein Gewehr und alles was er hat wegwerfen würde, ach was gäbe das für einen Zustand was für ein Spektakel. Ach wie bald wären wir ins Unglück gestürzt. Für immer und ewig wäre uns die Freiheit genommen. Du kannst Dir das leicht vorstellen, wie das ist, wenn man einmal in feindlichen Händen ist, wie man da behandelt wird. Hoffentlich wenden sich Deine Gedanken wieder um. Lasse den Mut nur nicht wieder sinken. Bete nur fleißig zu unserem Herrgott und er wird Dir schon wieder Mut verleihen.
Sei herzlich gegrüßt von
Deinem
Dich liebenden Bruder
Gustav.“
Dieser Aufsatz wurde vom Lehrer mit der Note 1 bewertet. Zum gleichen Thema schrieb eine Schülerin aus Rodenbach:
„Lieber Bruder!
Deinen lieben Brief habe ich erhalten. Ich erfuhr daraus, daß Du noch gesund und munter bist. Dies kann ich auch noch von mir berichten.
Auch hast Du geschrieben, daß Du durch die vielen Gefahren und Anstrengungen bald mutlos werden willst.
Lieber Bruder! Werde doch nicht mutlos! Denke einmal, wenn alle mutlos würden, wie würde es dann in Deutschland aussehen. Gerade so wie in Frankreich. Also denke: In Gottes Namen trage alles mit Geduld, denn Du kämpfst fürs Vaterland und für uns in der Gemeinde!
Auf baldiges Wiedersehen
grüßt Dich
Deine Dich liebende Schwester
Gertraud.“
In wieweit derartige Kriegsaufsätze Auswirkungen auf den Kriegsverlauf hatten, lässt sich heute wohl kaum nachweisen. Sie zeigen aber, wie skrupellos die Schüler und die Institution Schule von politischen und gesellschaftlichen Kräften des Staates missbraucht wurden.
Es braucht eigentlich nicht nochmals erwähnt zu werden, dass alle Schulfächer und das gesamte Schulleben auf den Krieg als Unterrichtsprinzip ausgerichtet wurden, vom Fach Religion („Der deutschen Jugend soll vor Augen geführt werden, daß auch im Krieg der Gerechte und Tüchtige auf die göttliche Hilfe bauen darf.“, bis hin zum Singunterricht („Kein schön'rer Tod ist in der Welt, als wer vorm Feind erschlagen.“)

Hinzu kam noch die Teilnahme an der am 3. Oktober 1914 in Bayern gegründeten Jugendwehr. Hier waren es vor allem Lohrer Gymnasiasten, die sich fast klassenweise an den freiwilligen vormilitärischen Übungen beteiligten.

Erst nach dem Ende des Krieges bemerkten Pädagogen die negativen Auswirkungen des Kriegsunterrichts, und im Schulanzeiger aus dem Jahr 1919 heißt es u.a.: „Beschämt stehen wir vor den Trümmern. Und viele werden vor den Kindern die richtigen ersten Worte nicht gefunden haben oder nicht finden.“
(Texte: Eduard Stenger)


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