Schule und Erziehung in der DDR
Mit einer Sonderausstellung ab dem 9. November 2019 bis zum 3. Oktober 2020
informiert das Lohrer Schulmuseum seine Besucher über die Schulbildung in der DDR,  deren oberstes Ziel
„die Bildung und Erziehung allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten“ war.

Außenansicht des Lohrer Schulmuseums von der Hauptstraße her. Der Trabi auf der Straße gehört einem Museumsbesucher aus Magdeburg. (Foto: Eduard Stenger)

Außenansicht des Lohrer Schulmuseums von der Hauptstraße her. Der Trabi auf der Straße gehört
einem Museumsbesucher aus Magdeburg (Foto: Eduard Stenger)

Auf welche Weise die DDR-Ideologen dieses Ziel erreichen wollten, wird in der Ausstellung dargestellt, wobei vor allem in den Schulbüchern auch deutlich wird, dass in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, also der Zeit allgemeiner Entspannungsbemühungen, der ideologische Druck auf das Schulwesen verstärkt wurde und wesentlicher und selbstverständlicher Bestandteil aller Unterrichtsfächer war.
Mathematik 3, 5. Auflage, Ausgabe 1970; (Repro: Eduard Stenger)


Mathematik 3,5. Auflage, Ausgabe 1970; (Repro: E. Stenger)



Vorderer Einbanddeckel des Rechenbuchs „Mathematik 2“,
Vorderer Einbanddeckel des Rechenbuchs „Mathematik 2“,
Lehrbuch für Klasse 2, Volk und Wissen, Volkseigener
Verlag Berlin, 1975. (Repro: Eduard Stenger))



Bei einem Vergleich von DDR-Schulfibeln für das 1. Schuljahr aus Jahren 1970 und 1976 kann man nahezu eine Verdoppelung ideologischer Themen feststellen, wobei mehr und mehr der militärische Schutz des Vaterlandes als ein notwendiges Instrument der Friedenssicherung und des Schutzes gegen den kapitalistischen Klassenfeind betont wird. So heißt es z. B. unter dem Titel „Gemeinsam stehen sie auf Friedenswacht“: Die Soldaten unserer NVA schützen gemeinsam mit den Soldaten der anderen sozialistischen Länder den Frieden. Sie üben mit den gleichen Waffen und lernen voneinander. Sie sind Waffenbrüder. Die besten Schützen werden ausgezeichnet: Karel, Igor, Klaus. Alle freuen sich darüber. Sie feiern gemeinsam, sie singen, tanzen und musizieren.“ (Aus „UNSERE FIBEL“, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin, 1986)
„Verleihung der ersten roten Halstücher“

Die Fächer Geographie und Geschichte sollten vor allem die Liebe der Schüler zu ihrem sozialistischen Vaterland festigen und die Freundschaft und internationalistische Verbundenheit mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern sowie Solidarität mit allen für Frieden und sozialen Fortschritt Kämpfenden“ stärken.

1978 wurde das Fach Wehrkunde als Pflichtfach für die Klassen 9 und 10 eingeführt und spätestens mit dem Wehrdienstgesetz vom 25. März 1982 war die Vorbereitung auf den Wehrdienst obligater Bestandteil der zentral organisierten Bildung und Erziehung an den Schulen der DDR.
In Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) sollten die Jugendlichen auf die Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes vorbereitet werden. Dazu gehörten auch die wehrsportlichen Veranstaltungen wie der „Touristische Mehrkampf“ oder der „Hans-Beimler-Wettkampf“ mit den Disziplinen Hindernislauf, Handgranatenwurf, Luftgewehrschießen , Hangeln usw.
Teilansicht der Vitrine „Schule und Erziehung in der DDR“ in der ständigen Ausstellung des Museums: Hinweis auf den vormilitärischen „Hans-Beimler-Wettkampf“ der FDJ, an dem sich die Klassen 8 bis 10 beteiligten.
Teilansicht der Vitrine „Schule und Erziehung in der DDR“ in der ständigen Ausstellung des Museums: Hinweis auf den vormilitärischen
„Hans-Beimler-Wettkampf“ der FDJ, an dem sich die Klassen 8 bis 10 beteiligten.

Entsprechend wurde in den Liederbüchern der Schule der DDR-Staat als ein zu beschützendes Vaterland besungen („Ich weiß ein schönes Land“). Andere Lieder betonten den Friedensgedanken und warben unter dem Stichwort „Friedenssicherung“ („Den Krieg zu verhindern sei unser Sieg“) um Sympathie für die NVA-Soldaten, z. T. allerdings mit Texten, die an andere Zeiten erinnern: „Wer unsern Frieden stört, der wird die Waffen spüren, die uns zum Siege führen.“

Besonders bemerkenswert ist die Begründung des Mauerbaus 1961 in verschiedenen Schulbüchern, z. B. im Lehrbuch Heimatkunde für die 4. Klasse 1987: „(...) Den Feinden unserer Republik war jedes Mittel recht, um den Aufbau eines neuen Lebens in unserem Lande zu verhindern: Bauernhöfe wurden in Brand gesteckt, um wertvolles Erntegut zu vernichten und die Ernährung der Bevölkerung zu gefährden. Im Jahre 1955 erkrankten in unserer Republik etwa 5000 Rinder; eine BRD-Firma hatte vergiftete Erntebindfäden geliefert. Im Februar des gleichen Jahres gingen die neuerbauten Sendesäle des Rundfunks in Flammen auf; der Täter war ein Student aus Westberlin, der sich als Agent gegen die DDR hatte anwerben lassen. (...) Die Imperialisten und von ihnen gekaufte Verbrecher haben unserer Republik großen Schaden zugefügt. Ihr Ziel, unseren sozialistischen Aufbau zu verhindern, haben sie aber nie erreicht. Zu den gemeinsten Verbrechen, die von westdeutschen Regierungen geduldet werden, gehört der Mord an Volkspolizisten und Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren unserer Grenztruppen. (...) 1961 wollten die Imperialisten der BRD ihr Ziel mit Gewalt erreichen. Das friedliche Aufbauwerk unserer Bürger wurde immer mehr bedroht. Westberlin wurde zu einem gefährlichen Herd der Unruhe. Die unverbesserlichen Feinde der DDR träumten von einem Marsch durch das Brandenburger Tor in die Hauptstadt der DDR. Damit sollte unsere Regierung gestürzt werden. Imperialisten und Großgrundbesitzer wollten wieder an die Macht. Die Verwirklichung dieser Pläne wurde verhindert. Am 12. August 1961, um 16 Uhr, unterzeichnete Walter Ulbricht die Befehle für die Sicherung der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik nach Westberlin. (...) In der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 wurde die bis dahin offene Grenze nach Westberlin geschlossen. (...) Alles Geschrei nutzte den Feinden unseres Vaterlandes nichts. Sie hatten eine Schlacht verloren. Ihr Marsch in die DDR fand nicht statt.“
„Unser Liederbuch für Hilfsschulen, Klassen 5 und 6“, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin, 1986. - Werbung um Sympathie für die Soldaten.
„Unser Liederbuch für Hilfsschulen, Klassen 5 und 6“, Volk und Wissen,
Volkseigener Verlag Berlin, 1986. - Werbung um Sympathie für die Soldaten.
(Repro: Eduard Stenger))
„Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ aus: „Unser Liederbuch für Hilfsschulen, Klassen 5 und 6“, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin, 1986.
„Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ aus: „Unser Liederbuch für Hilfsschulen,
Klassen 5 und 6“, Volk und Wissen, Volkseigener Verlag Berlin, 1986.
(Repro: Eduard Stenger)

Eine Ergänzung der Indoktrination durch die Schulfächer bildete der „Symbolikplatz der Pionierfreundschaft“ in der Aula der Schule, mit Gruppenwimpel, Fanfare, Trommel, Ehrenbuch der Pionierfreundschaft, einer Büste oder einem Bild Ernst Thälmanns usw., fast wie ein Altar aufgebaut und ein Beispiel für die Allgegenwart der SED in den Schulen.
Die DDR-Schule und die sozialistischen Kinder- und Jugendorganisationen „Pioniere“ und „Freie Deutsche Jugend“ bildeten eine untrennbare Einheit. Zum Aufgabenbereich der Lehrer gehörte daher auch die Betreuung dieser Organisationen mit den verschiedensten Aktionen über das gesamte Schuljahr. Nach einer Broschüre, herausgegeben vom Zentralrat der FDJ/Abteilung Schuljugend, waren das im Schuljahr 1978/79 rund 90 Veranstaltungen, von der Eröffnung des Schuljahres mit einem FDJ- und Pionierappell am 1. Sept. 1978 bis hin zum Jahrestag der Ermordung Ernst Thälmanns am 18. August 1979.
Postkarte der „Pionierrepublik Wilhelm Pieck“, einem 1952 bei Altenhof am Ufer des Werbellinsees eröffneten sozialistischen Schullandheim und Ferienlager. (Repro: Eduard Stenger))
Postkarte der „Pionierrepublik Wilhelm Pieck“, einem 1952 bei Altenhof am Ufer des Werbellinsees eröffneten sozialistischen Schullandheim und Ferienlager.
 Text auf der Rückseite (1988 geschrieben an eine Lehrerin der polytechnischen Oberschule in Bibra bei Meiningen):
„Sind gut angekommen. Seit Montag sind wir in der Schule. Gestern hatten wir Staatsbürgerkunde. Die Lehrer sind gut bis mittelmäßig.
Das Wetter geht. Es hat aber auch schon geschneit. Das Essen schmeckt so wie es aussieht, und es sieht nicht gerade gut aus. Tschüß, Sabine“

Für die Lehrerschaft bedeutete die sozialistische Kinder- und Jugendarbeit eine erhebliche zusätzliche Belastung, der sie zu entsprechen hatte. Das Lehrplanwerk 1972 der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR definierte den ideologischen Aufgabenbereich mit zwei grundlegenden Sätzen: „Der Lehrer erzieht die Schüler zu Verhaltensweisen, wie sie der Moral der Arbeiterklasse entsprechen. Er hält sie dazu an, klare Standpunkte zu beziehen, sich mit feindlichen und fehlerhaften Argumenten auseinanderzusetzen und im Unterricht, in der Pionier- und FDJ-Organisation, in Situationen des täglichen Lebens diesem Standpunkt entsprechend parteilich zu handeln.“
Ein 300-stündiges „Studium der revolutionären Theorie“ bereitete die Lehramtsstudenten auf diese Aufgaben vor. Darüber hinaus war es auch „für die männlichen Lehramtsstudenten Ehrensache, als Soldat, bzw. Uffz auf Zeit zu dienen, über die gesetzliche Wehrpflicht hinaus zum militärischen Schutz unserer Heimat beizutragen“. (Aus: 40 Jahre sozialistische Lehrerbildung in Meiningen, 1946-1986)

Mit Wandbildern, Schulbüchern, Gegenständen ermöglicht die Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum Einblicke in ein sozialistisches Bildungssystem und zeigt die vielfältigen Möglichkeiten politischer Indoktrinationen auf, – 30 Jahre nach dem Mauerfall eine interessante Rückschau.

(Text:Eduard Stenger, Leiter des Lohrer Schulmuseums)

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger telefonischer Absprache (Tel. 09352/4960 oder 09359/317) außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.
Internet: www.lohr.de/schulmuseum; Mail: eduard.stenger@gmx.net



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