„Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst?“, so fragt der Psalm 8.
Für
Kant gehört die Frage „Was ist der Mensch?“ zu den vier großen
Grundfragen der Philosophie. Ja sie fasst die drei vorausgehenden
Fragen der Metaphysik, der Moral und der Religion zusammen: „Was kann
ich wissen?“, „Was soll ich tun?“, „Was darf ich hoffen?“. Kant
beschreibt den Menschen als das „Wesen der Mitte“, d.h. er war nicht
schon am Anfang des Kosmos und er wird auch nicht am Ende sein, er
existiert auf einem Planeten, der um eine Sonne kreist, und er hat zwar
Macht und Kontrolle über einen Teil seiner Umwelt, in keinem Fall aber
über das All. Er ist nicht göttlich oder übermächtig. Im Umfeld des
sog. Kategorischen Imperativs kommt es immer wieder zu dem Axiom
„Menschsein heißt handeln müssen.“

Der Lebenslauf des Mannes; Darstellung um 1910
Die
Frage „Was ist der Mensch?“, ist nicht nur für die Philosophie die
zentrale Herausforderung, sondern auch für Naturwissenschaften,
Medizin, Kunst und nicht zuletzt für die Religion.
Michelangelo,
der geniale Künstler, Schöpfer der einzigartigen Fresken in der
Sixtinischen Kapelle und Baumeister der Kuppel der Petersbasilika in
Rom, fühlte sich zeitlebens zum Bildhauer berufen. Nicht nur, dass er
mit dieser Kunst in Florenz am Hofe der Medici begonnen hat, die
Bildhauerei allein konnte ihm Antwort geben auf die Frage, was den
Menschen ausmacht. Aus Stein befreite er Idealkörper und beseelte
Menschen wie den David, die herausragende Skulptur der
Menschheitsgeschichte, die heute in der Galleria dell'Accademia in
Florenz steht. Michelangelo war versessen auf das Studium des
menschlichen Körpers: Muskeln, Adern, Sehnen – unzählige Skizzen zeugen
von Michelangelos Wunsch, den idealen Körper darzustellen, der aber
nicht gefühls- und seelenlos sein durfte. Schon sein David, kurz vor
dem Kampf mit dem Philister Goliath, vereint eine dramatische Spannung
zwischen Gelassenheit und Anspannung. Sein Nacken ist gespannt. Sein
Blick geht in die Ferne. Die rechte Hand umklammert fest den Stein.
Nachlässig aber hat er auf der linken Seite noch die Schleuder über die
Schultern gelegt. Gefühle, ideale Schönheit, aber auch Schmerz und
Zerrissenheit – all das gelingt Michelangelo in seinen aus hartem
Marmor geschaffenen Skulpturen darzustellen. Die Kunst schaut tiefer
und lässt im Gefüge des Körpers die Gefühlswelt und die Größe des
Menschen, seinen Geist und seine Seele, erkennen.

„Buchdruck zu Gutenbergs Zeit“; Schulwandbild 1950
Die
Biologie kennt den modernen Menschen seit rund 200.000 Jahren erst und
vermutet seinen Ursprung in Afrika, möglicherweise in Äthiopien.
Charles Darwin hat mit seinen Forschungen deutlich gemacht, dass der
Mensch Teil der gesamten Evolution ist und nicht fertig „vom Himmel“
fiel. Gene, Zellen, DNA bilden heute das Forschungsfeld der sog.
Humangenetik. Der Mensch ist ein zeitlich begrenztes Lebewesen,
eingespannt zwischen Geburt und Tod. Er nimmt an der Evolution des
Lebens teil, zeigt dabei aber weit weniger genetische Vielfalt als
Menschenaffen.„Was
ist der Mensch?“ Die Antwort auf diese Frage braucht die Klärung meines
Standpunktes, von dem aus ich auf den Menschen schaue: aus dem
Blickwinkel der Philosophie, der Biologie, der Gesellschaftslehre, der
Religion...Immer
aber ergibt sich ein vielschichtiges Bild. Die drei Begriffe „Körper“,
„Geist“ und „Seele“ bilden dabei einen klassischen Rahmen für ein
ganzheitliches Verstehen des Menschen. Die folgenden Erklärungen zum
antiken Sprachgebrauch stammen von Bert Stenger.
„Goethe und Schiller in Jena“; Schulwandbild 1948
Ho - Der Mensch
Der
griechisch-antike Sprachgebrauch verwendet für den aufgerichteten,
aufrecht schreitenden Menschen den Begriff Anthropos ( von anti und
tropos: wörtlich: der entgegen Gewendete), da sich der Mensch gerade
durch seine aufrechte Haltung am deutlichsten vom Tier unterscheidet.
Der Anthropos löst sich damit gleichsam aus der Natur heraus,
überwindet die Naturinstinkte und tritt zugleich auch der Götterwelt
als eigenständiges, den Göttern mitunter trotzendes Wesen entgegen. Der
Mensch schafft sich in seiner Seele einen eigenen, auf den Verstand
gegründeten festen Standpunkt, von dem aus er
die Welt betrachtet und beurteilt.
To Soma - Der Körper
Der
materielle Körper bzw. der Mensch als belebter Körper wird in der
griechischen Antike mit dem Begriff Soma beschrieben, wobei der Begriff
Soma auch generell ,,Materie" bedeuten kann.
In
der griechischen Philosophie gab es die Auffassung, dass das Soma durch
die Psyche (Lebensatem) lebendig wird und durch sie mit dem Logos
(Weltvernunft) in Beziehung gesetzt wird.

„Die Entdeckung der Röntgenstrahlen“; Schulwandbild 1952
He sarx - Das Fleisch
Neben
dem Begriff Soma findet sich im griechisch-antiken Sprachgebrauch noch
der Begriff Sarx, welcher das lebendige (Muskel)Fleisch sowie den
vergänglichen Körper und damit die irdische Existenz beschreibt. Im
Neuen Testament, besonders bei Paulus, kennzeichnet der Begriff Sarx
den Menschen
einerseits
als irdisches Geschöpf, andererseits als schwachen Sünder, wobei Sarx
als Sitz der Affekte, Aggression und Konflikte verstanden wird (vgl.
,,Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach." Matthäus 26,41)
To zoon politikon) - Lebewesen in der Polisgemeinschaft
Der
Mensch als soziales bzw. politisches Wesen wird mit dem Begriff
des Zoon Politikon definiert, welcher vom antiken griechischen
Philosoph Aristoteles geprägt wurde. Danach ist es die Wesensbestimmung
des Menschen, Gemeinschaften zu bilden bzw. in Gemeinschaft zu leben,
wobei der Wille zum Leben den Willen zur Staatenbildung begründet. "Wie
im Samen der ganze Baum veranlagt ist, so ist im Menschen der Staat
veranlagt."
(Aristoteles, Politika)
 „Die Taufe“; Bildausschnitt aus einem Schulwandbild 1913 |  Buchillustration aus „Christliche Standesunterweisung“, 1898; |
Gerade
das Christentum hat in den Schriften des Apostels Paulus und in der
frühchristlichen Tradition enge Berührungspunkte zur antiken
griechischen Philosophie. Nicht weniger aber beruht sie auf dem
Menschenbild der hebräischen Bibel.
Die
biblische Überlieferung kennt zwei Arten von Schöpfungsaussagen: die
Menschenschöpfungsüberlieferung und die Weltschöpfungsüberlieferung.
Beide bilden eine eigenständige Tradition und gehören nicht von Anfang
an zusammen. Die ältere Überlieferung vom Werden des Menschen gründet
in seinem Erleben und der daraus entspringenden Frage nach seinem
eigenen „Woher komme ich“. So hatte in der biblischen Überlieferung die
Frage nach dem Menschen seinen ursprünglichen „Sitz im Leben“ im sog.
Klagegebet. Der Beter erinnert Gott an seine Erschaffung und formuliert
daraus die Bitte, dass Gott ihn doch jetzt nicht allein lasse, sondern
ihn rette aus seiner Not. Die Erinnerung an die Weltschöpfung war
dagegen fester Bestandteil des Lobgebetes der ganzen Gemeinde.
Die
Bibel verschweigt Glück und Leid des Menschen nicht. Sein Leben erst
ist der Boden für die Entfaltung des Glaubens an den Gott, der ihn
geschaffen, aus Ägypten gerettet und in das Land geführt hat, das er
schon Abraham verheißen hat. Dabei entwickelt die Bibel ihre eigene
Sicht vom Menschen in zwei theologischen Grundgedanken:
1. Der Mensch ist „Bild Gottes“
Gott erschafft den Menschen als sein Abbild, ihm ähnlich (Gen 1,26f).
Wohl
kannte die orientalische Umwelt Israels die Vorstellung, dass bestimmte
Menschen als Bild Gottes gelten konnten, aber diese Ausweitung auf
jeden Menschen ist ohne Parallele. Weil er Bild Gottes ist und somit
eine Sonderstellung einnimmt, bekommt der Mensch in seiner Schöpfung
eine wichtige Funktion. Er soll in ihr herrschen, nicht im Sinne von
Ausbeutung, sondern als Auftrag zur Hirtenherrschaft, also zur Abwehr
aller die Schöpfung bedrohenden Feinde. Es ist die Bestimmung des
Menschen, für die Schöpfung zu sorgen, und teilzuhaben am
schöpferischen Wirken Gottes durch die Zeugung von Nachkommen.
Schließlich lässt die Rede vom Menschen als Bild Gottes auch schon seine Unvergänglichkeit erahnen.

Feldaltar für einen katholischen Priester im 1. Weltkrieg; Leihgabe von Armin Hospes, Marktheidenfeld
2. Gott schafft Mann und Frau
Nachdrücklich
betonen alle biblischen Schöpfungsüberlieferungen den Menschen als Mann
und Frau. Der 2. Schöpfungsbericht nennt die Frau eine „echte Hilfe“
für den Menschen, die ihn vor dem Alleinsein rettet. Die konkret
erlebte Herrschaft des Mannes über die Frau deutet die Bibel als Folge
der Sünde und damit als Widerspruch zum Willen Gottes.
Geschlechtlichkeit und eheliche Liebe bilden für die Überlieferung der
Bibel einen wesentlichen Punkt des Menschseins und werden daher offen
und ohne negativen Unterton dargestellt.

Geschirr für den Versehgang (letzte Ölung), um 1950
Neben
diesen beiden Grundaxiomen der biblischen Sicht auf den Menschen gilt
es noch einige Aspekte zu erwähnen, die die Überlieferung
vervollständigen:
Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch seine Sprachfähigkeit.
Gott
bläst dem Menschen, aber auch dem Tier, den Lebensodem (Nefesch) ein.
Häufig wird der hebräische Begriff „Nefesch“ im Deutschen mit „Seele“
wiedergegeben. Er umfasst aber noch eine größere Deutungsbreite i.S.
von innerer Lebendigkeit, Lebenswille und Lebensdrang.
Die
Leiblichkeit des Menschen fasst die hebräische Überlieferung mit dem
Begriff „Basar“ zusammen. Damit ist mehr gemeint als sein Körper. Hier
ist seine Geschlechtlichkeit, aber auch seine Erfahrung von
Hinfälligkeit, seine Verwandtschaftsbeziehungen, seine Familie und die
umfassende Gemeinschaft von Frau und Mann angesprochen.
Gottes
„Ruach“ (Geist) schwebt am Anfang über dem Wasser und dient zugleich
zur Wiedergabe der Gemütsbewegungen des Menschen, sein Erkennen,
Verstehen und Urteilen.
Zentraler
Begriff für die geistige und seelische Dimension des Menschen ist „Leb“
(Herz). Im Herzen hat der Verstand seinen Sitz. Das Herz hat Einsicht,
Erkenntnis und Entscheidungsfähigkeit. Im hebräischen Denken regt sich
das Gewissen in den Nieren.

Messkännchen für Wein und Wasser, um 1730; aus dem Kirchenschatz der Lohrer Pfarrei St. Michael
Auch
für die Bibel ist die Frage „Was ist der Mensch?“ eine zentrale
Herausforderungen für das Denken und den Glauben. Sie versteht ihn
ganzheitlich. Nur so kann er mit allem, was ihn prägt, Abbild Gottes
sein und zu seiner Ehre leben:
„Meine
Seele verzehrt sich in Sehnsucht nach dem Tempel des Herrn. Mein Herz
und mein Leib jauchzen ihm zu, ihm, dem lebendigen Gott.“ (Psalm 84,3)
Das
Schulmuseum Lohr-Sendelbach und die Pfarrei St. Michael wollen in einer
gemeinsamen Ausstellung im Fischerhaus am Kirchplatz zeigen, wie diese
ganzheitliche Sicht des Menschen auch schon vor hundert Jahren
die Entwicklung eines Menschen formte. Aus dem Bestand der Familie
Hettiger werden z.B. Erinnerungsgegenstände gezeigt, die an wichtigen
Knotenpunkte auf dem Lebensweg eines Menschen ihn körperlich, geistig
und religiös fördern sollten. Die Entwicklungsstadien des Körpers
werden mit Bildungsinhalten der Schulzeit und der Katechese in der
religiösen Bildung bzw. dem Empfang der Sakramente verbunden.
Neben
einem Überblick über den Unterricht im Blick auf den menschlichen
Körper finden sich zahlreichen Ausstellungsstücke, die das Denken und
die Volksfrömmigkeit jener Zeit beleuchten: Schulbilder, Literatur,
Hausaltäre und Andachtsgegenstände.
Eröffnung ist am Palmsonntag, 13.4.2014, um 11.00 Uhr im Anschluss an das Hochamt in der Stadtpfarrkirche.
Die Ausstellung ist dann bis zum 4. Mai jeweils an den Sonn- und Feiertagen von 14.00 – 17.00 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.
(Text: Pfarrer Sven Johannsen)