Sonderausstellung des Lohrer Schulmuseums im Eingangsbereich
vom 10. Okt. bis  9. Jan. 2022
Vom Naturkundeunterricht zu „Fridays for Future“


Geschützte Pflanzen, Wasser und Hochmoor, Schulwandbild 1942
Geschützte Pflanzen, Wasser und Hochmoor, Schulwandbild von 1942

Die neue Sonderausstellung gibt einen anschaulichen Überblick über die Entwicklung vom reinen Anschauungsunterricht im Fach Naturkunde im 19. Jahrhundert über den Beginn von Tier- und Pflanzenschutz Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum aktiven Umweltschutz der Schüler heute. Die gesellschaftliche, politische und gesetzliche Entwicklung wird auf Grund des Umfangs nur gestreift, die Ausstellung gibt jedoch Denkanstöße und zeigt Zusammenhänge zwischen Pädagogik, Methodik und Praxis auf.
Bitte Ruhe! Plakat um 1960
Bitte Ruhe! Plakat um 1960
 
Behaltet euren Mist! Plakat um 1960
Behaltet euren Mist! Plakat um 1960


Schlagworte wie Klimaschutz, Energiewende, „Natura 2000“ (Europäisches Naturschutzprogramm), „Fridays for Future“ oder zuletzt die Klage der EU-Kommission gegen Deutschland wegen Verstößen gegen das Naturschutzrecht zeigen die Aktualität des Themas, das bereits mit der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts seinen Ursprung nahm, als Alexander von Humboldt den Begriff des Naturdenkmals prägte oder Johann Wolfgang von Goethe feststellte: „Wenn der Naturforscher sein Recht einer freien Beschauung und Betrachtung behaupten will, so mache er sich zur Pflicht, die Rechte der Natur zu sichern; nur da, wo sie frei ist, wird er frei sein, da, wo man sie mit Menschensatzungen bindet, wird auch er gefesselt werden.“ 1
Der Naturkundeunterricht des 19. Jahrhunderts war ein reiner Anschauungsunterricht, in dem der Lehrer über Themen aus Biologie und Erdkunde, in höheren Klassen auch aus Physik oder Chemie dozierte, und die Aktivität der Schüler darin bestand, mitzuschreiben und zu zeichnen oder dem Lehrer nach Aufruf zu antworten.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden im Heimatunterricht anhand von Tierpräparaten vorwiegend Tiere aus der heimatlichen Umgebung durchgenommen. Bei Wanderungen sammelten die Kinder mit sogenannten Botanisiertrommeln Pflanzen, um diese später im Klassenzimmer zu pressen und mit ihnen kunstvolle Herbarien anzulegen.

Geschützte Pflanzen, Lichtes Gebüsch, Schulwandbild 1939
Geschützte Pflanzen, Lichtes Gebüsch, Schulwandbild 1939

In den Schulbüchern wurden zwar sowohl Pflanzen als auch Tiere noch in Schädlinge und Nützlinge eingeteilt, doch langsam setzte ein Umdenken ein. Erste Tierschutzkalender, die von den um die Jahrhundertwende zahlreich gegründeten Tierschutzvereinen herausgegeben wurden, zeigten süße Tierkinder oder plädierten dafür, Nutztiere ordentlich zu halten, waren vom heutigen Begriff des Tierschutzes jedoch noch weit entfernt.
Der Marktheidenfelder Pädagoge Cornel Schmitt, mehrere Jahre auch in Lohr als Leiter der Präparandenschule (Schule zur Ausbildung von Lehrern) tätig, setzte in den 20er Jahren neue Schwerpunkte: „Ziel des Naturkundeunterrichtes ist es, zum Sehen und Hören, zur Beobachtung, zum elementaren Forschen anzuregen, das Schöne in der Natur zu verstehen, schätzen und lieben zu lernen.“ Sein Buch „Von unsern Brüder in Busch und Feld“ holte die Tiere aus ihrer bisherigen Daseinsberechtigung als Fleisch-, Wolle-, Fell- und Federlieferanten und willige Arbeitshilfen für den Menschen und stellte sie als gleichberechtigte Lebewesen dar. Seine Bücher „Heraus aus der Schulstube“ oder „Der biologische Schulgarten“ sind heute noch richtungsweisend.
Vorlagen und Gesetzesentwürfe aus der Weimarer Republik führten dazu, dass 1935 – unter den Nationalsozialisten - das erste Naturschutzgesetz Deutschlands erlassen wurde, das auch die Naturschutzgesetze nach 1945 beeinflusste.

Am 12.12.1952 fassten die Kultusminister folgenden Beschluss: „In allen einschlägigen Schulfächern, besonders im naturwissenschaftlichen und erdkundlichen Unterricht und bei Wanderungen der Volks-, Mittel- und höheren Schulen …ist den Fragen des Naturschutzes und der Landschaftspflege besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die erzieherischen und gemütsbildenden Werte, die den Gedanken und Bestrebungen der Naturschutzbewegung und der Landschaftspflege innewohnen, sind in geeignetem Zusammenhang fruchtbar zu machen. Die wirtschaftliche Bedeutung des Naturschutzes und der Landschaftspflege für die Ernährung des Menschen, für den Wasserhaushalt, die Wuchskraft des Bodens und die biologische Gesundheit der Landschaft ist den Schülern an Beispielen nahezubringen.“

Schon an dem neuen Namen des Unterrichtsfaches „Heimat- und Sachkunde“ wird deutlich, dass sich der Unterricht weg von der eindimensionalen Betrachtung von toten (ausgestopften) Tieren und der Natur entnommenen, gepressten Pflanzen hin zum Erleben und Begreifen von Zusammenhängen und Schutz derselben entwickelte. In den Schulbüchern findet man nun Themen wie „Müllvermeidung“, „Waldsterben“ u.a.
Waren die Schüler noch vor hundert Jahren folgsame Untertanen des Lehrers, so werden sie heute zu mündigen Bürgern erzogen, die in Demonstrationen auf die Straße gehen, um für ihre Überzeugungen in Hinsicht Klima- und Umweltschutz einzustehen und aktiv Veränderungen zu fordern.
„Sicherlich ist die Forderung nach einem nachhaltigeren, umfassenderen Schutz der Natur noch nie so dringlich erhoben worden wie in unseren Tagen. Immer weitere Kreise der Öffentlichkeit werden sich darüber klar, daß diese Probleme heute mit zu den wichtigsten Aufgaben der Menschheit überhaupt gehören….Zwei Hauptgründe mit ihren Folgen müssen für die Notwendigkeit eines verstärkten Naturschutzes angeführt werden: die außerordentlich schnelle Zunahme der menschlichen Bevölkerung und die fortschreitende Technisierung unseres gesamten Daseins.“ 2

Vergleicht man jedoch vorstehenden Text von 1954 (!) mit den heute noch bestehenden und sich größtenteils verschärften Problemen, drängt sich die Frage auf, was in den letzten 70 Jahren im Umweltschutz passiert ist. Wird weiterhin nur wirtschaftlicher Nutzen und finanzieller Ertrag in den Vordergrund gestellt, können die Klimaerwärmung, die Ressourcenverknappung oder die Überbevölkerung nicht gestoppt werden.

Aus dem Archiv des Lohrer Schulmuseums und dem Privatarchiv des Herrn Volkmar Schmitt, Enkel von Cornel Schmitt:
 Ergänzender Beitrag zur Sonderausstellung des Lohrer Schulmuseums Vom Naturkundeunterricht zu „Fridays for Future“
im Eingangsbereich des Museums vom 10. Okt. bis 9. Jan. 2022
von Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main)

Cornel Schmitt - ein begnadeter Reformpädagoge und Naturschützer
Cornel Schmitt Aufnahme aus den 20er Jahren
 Cornel Schmitt Aufnahme aus den 20er Jahren

Als der dreizehnjährige Lehrersohn Cornel Schmitt aus Marktheidenfeld sich 1887 um die Aufnahme in die Lohrer Präparandenschule bewarb, deutete zunächst wenig darauf hin, dass er einmal zum bedeutendsten Schulreformer und Vorkämpfer des modernen Naturschutzes in Unterfranken im 20. Jahrhundert werden würde.
„Spital (Krankenhaus) u. Präparandenschule“ (rechtes Gebäude) , um 1908 in der Haaggasse (heute: Grafen-von-Rieneck-Straße)

Spital (Krankenhaus) u. Präparandenschule“ (rechtes Gebäude) , um 1908 in der Haaggasse (heute: Grafen-von-Rieneck-Straße)


Nach dem Besuch des Würzburger Lehrerseminars, den anschließenden üblichen „Wanderjahren“ als Hilfslehrer und verschiedenen Einsätzen als Seminarhilfslehrer und Präparandenlehrer, bewarb sich Cornel Schmitt 1909 mit Erfolg um die vakante Schulleiterstelle an der Lohrer Präparandenschule.
Nun hatte er die Möglichkeit, den gesamten von ihm als Schüler erlebten autoritären und unpädagogischen Schulbetrieb entsprechend zu verändern.
So war ich einst, so bin ich jetzt...
So war ich einst, so bin ich jetzt...

In den Mittelpunkt der didaktisch-pädagogischen Arbeit stellte er „Heimat als Unterrichtsprinzip“. Im Deutschen wurde nun auch die Pflege der Mundart betrieben, in der Musik erhielt das Volkslied eine besondere Bedeutung, vor allem aber stellte Cornel Schmitt in der Naturkunde die unmittelbare Anschauung in den Mittelpunkt seines Unterrichts, und wann immer es möglich war, erfolgte der Unterricht in der Natur. „Heraus aus der Schulstube!“ war der Erziehungsgrundsatz Nummer 1 des Reformpädagogen Cornel Schmitt. Die Schüler sollten durch eigene Beobachtungen in der freien Natur Erkenntnisse sammeln, und hier bot sich vor allem der Romberg in Sendelbach als ein Paradies für die Naturbeobachter an, „damals ein landschaftliches Idyll und eine Stätte ungestörten Friedens“, wie die Lohrer Zeitung in den „Erinnerungen an Cornel Schmitt“ am 29. Januar 1954 schrieb. Dazu gehörte auch der Schutz der Natur vor den zerstörerischen Kräften des Menschen.
So war ich einst, so bin ich jetzt...
So war ich einst, so bin ich jetzt...

Als nach dem ersten Weltkrieg die Lehrerbildung neu ausgerichtet und die Lehrerseminare in Lehrerbildungsanstalten aufgewertet wurden, hatten die Präparandenschulen ausgedient und wurden schließlich aufgelöst. Nach der Schließung der Lohrer Schule 1923 wurde Cornel Schmitt als Studienrat an die Lehrerbildungsanstalt Würzburg versetzt. Am 13. Januar 1958 starb der weit über die Grenzen Unterfrankens hinaus bekannte und geschätzte Pädagoge in Würzburg.

Er bleibt in der Erinnerung ein Lehrer, der die pädagogischen Strömungen seiner Zeit vorbildlich im Unterricht und in der Lehrerbildung umsetzte und zum leidenschaftlichen Vorkämpfer des modernen Naturschutzgedankens wurde.
„Die Präparanden des III. Kurses 1890/91“; hintere Reihe rechts außen: Cornelius Schmitt.

Die Präparanden des III. Kurses 1890/91“; hintere Reihe rechts außen: Cornelius Schmitt.



Im Lohrer Schulmuseum erinnert eine Vitrine im Treppenhaus an sein Wirken.

„Die Sünde wider die Natur“, Auszüge aus dem Lesebuch von Cornel Schmitt „Von unseren Brüdern in Busch und Wald, Teil VI, Naturschutz 1928:
„Daß unsere Heimat ein milder und fruchtbarer Garten ist, verdanken wir wahrlich nicht zuletzt den Bäumen und dem schwarzblauen Band der Wälder, die zum Glück zur Staffage fast jeder deutschen Landschaft gehören.
Wir können es gar nicht ermessen, welches Unglück es bedeuten würde, wenn unserem Lande dasselbe Schicksal widerführe, das einst Frankreich verschuldete, als es nach seiner großen Revolution fast waldlos dastand. Drei Millionen Hektar Wald ließ eine wahnwitzige Spekulantenschar damals fällen und schädigte damit das Land so, daß es noch heute, nach mehr als hundert Jahren, jährlich für hundert Millionen Franken Holz vom Ausland kaufen muß, und anderthalbmal so viel ausgab, um in dem fanzösischen Teil der Alpen wenigstens das Ärgste an den Strafen gutzumachen, mit denen die Natur Waldfrevel ahndet.
Auf die Sünde wider die Natur ist Todesstrafe gesetzt. Die Landschaft erstarrt, wo man sie ihres schönsten Schmuckes beraubt. Der Süden Europas ist ein warnendes Beispiel für jene, die nicht daran glauben wollen, daß die Natur strafen kann. In den südlichen Alpen begann dieses Sühnegericht erst vor wenigen Jahrhunderten; die leblosen Einöden Syriens und der griechischen Berge beweisen, daß oft Jahrtausende nicht mehr gutmachen können, was ein Geschlecht versündigt hat.
Die Erfahrungen an den entwaldeten Abhängen der provencalischen Berge haben erst in den letzten Jahrzehnten das Schulbeispiel gelieferte wie sich die Entwaldung der Gebirge rächt. So verstehen wir, warum in Südtirol, in der Schweiz, auf dem Apennin Gegenden von einst sprichwörtlicher Üppigkeit steinige Wüsten geworden sind.
Der französische Bericht über der Zustand der Alpen der Provence, die man durch systematische Entwaldung zugrunde gerichtet hat, gibt mit trocken einfachen Worten ein erschütternd anschauliches Bild davon. Er sagt: Man kann sich in unseren gemäßigten Gegenden gar keinen Begriff von diesen brennenden Bergschluchten machen, wo es nicht einmal einen Busch gibt, um einen Vogel zu schützen, wo der Reisende nur da und dort einen ausgetrockneten Lavendelstengel findet, wo alle Quellen versiegt sind, wo ein düsteres, kaum vom Gebrumm der Insekten unterbrochenes Schweigen herrscht. Aber da bricht plötzlich in der Schwüle ein Gewitter los. Und dann wälzen sich in einem Nu in diesen geborstenen Becken von der Höhe der Berge Wassermassen herab, die verwüsten, ohne zu befeuchten, die überschwemmen, ohne zu erfrischen, und die den Boden durch ihre rasch vorübergehende Erscheinung noch öder machen, als er durch das Ausbleiben war. Der Mensch zieht sich notgedrungen aus diesen schauerlichen Einöden zurück, und die Ortschaften werden verlassen...“

Auszüge aus „Naturliebe mein Unterrichtsziel“, von Cornel Schmitt, 1922, Verlag von Datterer, Freising und München:

„Alle Anordnungen, Polizeimaßnahmen, Gebote und Verbote des Staates aber bleiben ergebnislos, verpuffen, wenn nicht frühzeitig der Hebel angesetzt wird. Der Lehrer ist`s, an den wir uns wenden.
Es soll ihm keine neue Last aufgebürdet werden. Wenn seine Belehrungen nur von dem Geist warmer Naturliebe beseelt sind, muß und wird der Funke überspringen vom Lehrer zum Schüler (…) Unsere alte Schule und leider auch noch recht viele in unserer sehr realen Zeit kannte bzw. kennt nur den einen Maßstab, der an Tier und Pflanze angelegt wurde: Ist das Ding nützlich, schadet es mir? Das stammt von der Zeit her, wo der Mensch sich als Mittelpunkt, als Nabel der Welt betrachtete. Aufgabe der heutigen Schule muß es aber sein, diesen Nützlichkeitsstandpunkt zu veredeln und Aufklärung zu schaffen, daß nichts überflüssig und zwecklos ist, und das alles ineinandergreift.(...) Das Ziel unseres Unterrichts steht höher, nicht weil die Naturdinge unserem Geldbeutel, unserer Gesundheit und unserem Wohlergehen nützen, sondern weil sie unseren Geist und besonders unser Gemüt auf eine höhere Stufe heben. Das ist die Domäne des Naturwissenschaftlichen und des Deutschunterrichts.“


Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.
(Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/848465 oder 09359/317, e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)


(Text und Fotos: Bettina Merz, Mitarbeiterin des Schulmuseums Lohr a.Main


1Quelle: Goethe, J. W., Zur Naturwissenschaft, Mineralogie und Geologie, Recht und Pflicht, 2-7; Aphorismen und Fragmente, Beobachten und Denken. Zitiert nach: Ernst Lautenbach: Lexikon Goethe Zitate. Auslese für das 21. Jahrhundert aus Werk und Leben, München 2004,


2Quelle: Engelhardt, Dr. W., Naturschutz, Bayerischer Schulbuchverlag, München 1954

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