„Freundschaft ist die edelste der Gaben“
Ein Stammbuch von besonderer Bedeutung für das Lohrer Schulmuseum


Foto von Bettina Merz: rechts Peter Büdel mit dem Stammbuch in den Händen und Museumsleiter Eduard Stenger im Lohrer Schulmuseum
Foto von Bettina Merz: rechts Peter Büdel mit dem Stammbuch in den Händen
und Museumsleiter Eduard Stenger im Lohrer Schulmuseum

Wiederentdeckter Schatz für das Schulmuseum

Von Herrn Peter Büdel, ehemaligem Lehrer an der Hauptschule in Frammersbach, erhielt das Lohrer Schulmuseum heute ein Album als Schenkung. Dieses Büchlein, gefasst in einen roten Umschlag mit goldener Verzierung, beinhaltet zahlreiche handschriftliche Einträge, wobei der erste von 1817 stammt. Besonders ins Auge fallen jedoch die handgezeichneten farbigen Zeichnungen von verschiedenen Orten aus der näheren Umgebung. So findet man dort Bilder von z.B. Bütthard (weitere Orte siehe Artikel von Herrn Walter Michael Brod). Dies dürften die ältesten erhaltenen Abbildungen dieser Ortschaften sein und waren Vorbilder für die ersten Ansichtskarten.
Wie aus einem Eintrag zu entnehmen ist, stammt das Album von Karl Theodor Weber, einem Verwandten von Peter Büdel. Dieser Herr Weber praktizierte seinerzeit als Arzt in Würzburg, wo schon sein Vater als Organist tätig war. Daher sind viele Einträge aus dem Würzburger Raum. Erst der Sohn von Karl Theodor brachte das Album mit nach Lohr, wo er als Tierarzt tätig war. Hier wurde es dann über Jahre wie ein Schatz gehütet und weitervererbt. Schließlich wollte es der Vater von Peter Büdel der Universität Würzburg schenken, überlegte es sich dann aber – zum Glück für das Lohrer Schulmuseum – anders, und vermachte es in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts seinem Sohn Peter Büdel. Bis dahin fristete das Büchlein - ungesehen und in vielleicht auch in Vergessenheit geraten – sein Leben in einem Schrank.
Dies soll sich nun ändern, denn der Museumsleiter Eduard Stenger ist sich des hohen ideellen Wertes dieses einzigartigen Zeitzeugnisses durchaus bewusst und plant damit eine Sonderausstellung zum Thema „Biedermeier“.
Des weiteren können natürlich gerne auch die Bürgermeister oder Archivleiter der betreffenden Ortschaften im Schulmuseum Einsicht nehmen und entsprechende Kopien für die Darstellung ihrer Heimatgeschichte erhalten.

Die üblichen Stammbuchblätter (von oben nach unten), datiert 1817, 1819, 1817. Siehe dazu (unten): Texte zu den Stammbuchblättern 1817-1819

Die üblichen Stammbuchblätter (von oben nach unten), datiert 1817, 1819, 1817.

Stammbuchblatt: „Gott segne deine Studia!./.von deinem Freude / Nicol: Schirber / med. cand: / Würzburg den 13/5/ 1817“

Stammbuchblatt: “ Freundschaft ist die edelste der Gaben, / Die der Schöpfer Sterblichen verlieh; / Freundschaft ist das Heiligste,

was wir haben / Unser Leben ist nur schön durch sie.“
Rückseite: „ O so denken Sie in Ihrem Glücke, / Welches Hymen Ihnen einst gewährt / In dem Schoose Ihrer Friederike /

Auch noch an der Freundschaft hohen Werth, / Zum freundschaftlichen Andenken / an Elisabetha Heyduk / Würzburg 26. Juli 1819“

Stammbuchblatt: „Zur manchmaligen Erinnerung an / Deinen Dich aufrichtig liebenden Freund. /

Rudolf Besel von Mergentheim / med; cand: / Würzburg d. 30. May 1817“



Das Lohrer Schulmuseum ist um ein bedeutendes Exponat reicher. Es handelt sich um ein Stammbuch (heute besser bekannt als Poesiealbum) des in Würzburg 1791 geborenen Arztes Dr. med. Michael Joseph Weber aus dem frühen 19. Jahrhundert, der u.a. von 1824 bis 1829 als Arzt in Bütthard wirkte.
Der Lehrer i. R. Peter Büdel hat nun das Stammbuch aus dem Besitz seiner Familie dem Schulmuseum schenkungsweise überlassen.

Nach dem Tod des Vaters hatte sein Sohn Karl Theodor Weber, später Bezirkstierarzt in Lohr a.Main, das väterliche Stammbuch bis zu seinem Tod im Jahr 1900 sorgfältig verwahrt. Wohl aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen kam es später in den Besitz der Familie des Rektors Hans Büdel (1911-1994).

Auf Wunsch des damaligen Lehrstuhlinhabers für Geschichte und Medizin an der Würzburger Universität, Professor Dr. Dr. Gundolf Keil, beschrieb der Würzburger Hausarzt und Geburtenhelfer Walter Michael Brod, Ehrenbürger der Universität Würzburg (seit 1992), dieses ihm bekannte Stammbuch in einem fünfseitigen Artikel im Mainfränkischen Jahrbuch für Geschichte und Kunst 1995 und weist damit auf die besondere Bedeutung dieses Stammbuches hin.

Die meisten Stammbuchblätter entsprechen den damals üblichen Formulierungen. Anlässe sind vor allem Freundschaftsbeweise, Abschied usw.
„Die Zierden dieser Blätter entstammen den weitgesteckten biedermeierlichen Repertoire der auf Freundschaft und Zuneigung, auf Abschied und Trennung bezüglichen Motive. Wir finden u.a. Blumen und Früchte, Urnen, Säulen und Gedenksteine.“ (Walter Michael Brod)

Was das Stammbuch aber besonders bedeutsam macht, sind vor allem sind die zahlreichen Weber-Stammbuchblätter aus der Zeit als Arzt ab 1824, die mit Ortsansichten geschmückt sind. Es sind die Orte Höttingen, Allersheim, Gaurettersheim und Tiefenthal, die seit der Gebietsreform von 1972 heute zum Landkreis Würzburg gehören, sowie die Orte Bütthard, Oberwittighausen und Bernsfelden.
„Die Pinselführung der Wiedergaben der Ortsansichten im Grenzgebiet zwischen dem bayerischen und baden-württembergischen Franken drängt dem Betrachter die Erkenntnis auf, daß nur eine Hand die kleinen Aquarelle hergestellt hat, vielleicht von den Gebern oder vom Beschenkten in Auftrag gegeben (…) es kann gut sein, daß wir in diesen Abbildungen erste, überlieferte, authentische Ortsansichten vor uns haben. (…) Auf Ansichten dieser Dörfer stoßen wir erst wieder nach dem Aufkommen der Ansichtspostkarte, die nach 1865 der Geheime Postrat Stephan, der spätere Generalpostmeister des Deutschen Reiches entwickelte.“ (Walter Michael Brod)
Anmerkung: Ein Stammbuchblatt mit der Ansicht von Gaurettersheim ist nicht mit einem Text versehen, was obige Vermutung bestätigen könnte.

Nun wird das in rotes Leder gebundene Stammbuch in Schuberform mit seinen vielen Blättern im Archiv des Lohrer Schulmuseums an eine lange vergangene Zeit erinnern und könnte Teil einer geplanten Sonderausstellung über die Biedermeierzeit werden.

Die Bürgermeister oder Archivleiter der betreffenden Ortschaften können gerne im Schulmuseum Einsicht nehmen und entsprechende Kopien für die Darstellung ihrer Heimatgeschichte erhalten.


1. „Hetezen Mühle bey Bütthard“, Text dazu datiert 1829
1. „Hetezen Mühle bey Bütthard“, Text dazu datiert 1829
2. „Bütthard“, Ortsansicht, undatierter Text
3. „Apotheke in Bütthard“, Text dazu datiert 1833




1. „Bernsfelden“, dazu datierter Text 1829
1. „Bernsfelden“, dazu datierter Text 1829
2. „Kapelle zu Oberwittighausen in Baden“, dazu datierter Text 1828
3. „Gaurettersheim und Tiefenthal“, dazu undatierter Text



Zur Geschichte des Stammbuches

Das Stammbuch, auch als „Album amicorum“ (= Album der Freunde) bekannt, kam ab der Mitte des 16. Jahrhunderts in Umlauf. Es geht zurück auf die spätmittelalterlichen Gästebücher des Adels. Später wurden die meist querformatigen Büchlein, oft in Schuberform, von Freunden, Verwandten und Gönnern als Zeichen ihrer Freundschaft mit handschriftlichen kurzen Texten versehen, verwendet.
Im 18. Jahrhundert entstand eine eigene Industrie, die vorgefertigte Grafiken als „Stammbuchblätter“ anbot, die individuell beschriftet und dann eingeheftet wurden. Vor allem bei den Studenten erfreute sich das Stammbuch großer Beliebtheit. Es diente ihnen auch zum Sammeln von Empfehlungsschreiben der Professoren und anderer für sie wichtigen Persönlichkeiten und war so gewissermaßen eine Art Legitimation, wenn sie sich bei einer anderen Universität vorstellten. Der Ausdruck „jemandem etwas ins Stammbuch schreiben“ bezieht sich wohl auf diese Gewohnheit.
Vor allem Beweise einer „wahren und ewigen Freundschaft“ sollten die Einträge in Loseblattform in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sein.

Ab 1850 kam das Stammbuch bzw. Freundschaftsbuch nach und nach außer Mode. Nun übernahmen mit entsprechenden Widmungen versehene Couleurartikel die Funktion des Freundschaftssouvenirs, wie sie noch heute bei den Studentenverbindungen üblich sind.
Das Poesiealbum trat an die Stelle des Freundschaftsbuches und wurde eine vor allem bei Mädchen beliebte Form der Zuneigung und Freundschaftsbezeugung.

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist
von Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet.
 Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.
 (Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main; Tel. 09352/4960
oder 09359/317 oder 09352/848-465, e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)

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