Als Ergänzung der Sonderausstellung „Fröhliche, selige Kinderzeit? - Aus dem Kinderleben vor 100 Jahren“ stellt das Lohrer Schulmuseum im Eingangsbereich weitere Exponate aus dem Bestand des Museums unter dem Thema „Puppenmütterchen und Reitersmann - Spielzeug und Kinderbücher vor 100 Jahren“ vom 27. November 2011 bis 15. Januar 2012 aus.
„Illustriertes Spielbuch für Knaben“, Verlag und Druck von Otto Spamer, Leipzig 1896; vorderer Einbanddeckel | „Die
fleissige Puppenschneiderin – Für fleißige Kinderhände“, von
Bertha Heyde, Verlag von Gustav Weise, Stuttgart,1902 |
Gezeigt werden Kinderbücher, Baukästen, Spiele und Spielzeug usw., wie sie auf dem weihnachtlichen Gabentisch des wohlhabenden Bürgertums vor 100 Jahren zu finden waren. Es sind aus heutiger Sicht anschauliche und interessante Informanten über die damalige Zeit.
Ein Hauptthema der Kindererziehung war damals die Rollenzuweisung der Jungen und Mädchen nach dem Vorbild der Eltern.
Da im deutschen Kaiserreich die patriotisch-militärische Begeisterung nahezu alle Lebensbereiche prägte und der Dienst fürs Vaterland zur größten Tugend erhoben wurde, sollten die Buben schon von klein auf für alles Militärische begeistert werden, und das erreichte man am besten mit entsprechendem Spielzeug - im Kinderzimmer wurde militärisch aufgerüstet. Zur Vorweihnachtszeit boten dementsprechend Geschäfte und Kaufhäuser in ihren Katalogen ein reichhaltiges Sortiment an Kriegsspielzeugen aller Art an. Es umfasste den gesamten militärischen Bereich von den Uniförmchen, Säbeln, Degen und Kinderhelmen der verschiedenen Waffengattungen bis hin zum „Kasernenschrank mit kompletter Ausrüstung“ für 10,50 Mark.
Besonders beliebt, aber auch sehr teuer war "modernes“ technisches Kriegsspielzeug. Ein „Kriegsschiff mit solidem Uhrwerk, gepanzertem Geschützraum mit zwei Kanonen, zwei Drehkränen, zwei Panzertürmen mit Signalmasten, Länge 65 Zentimeter“ kostete „in ganz feiner Ausführung“ 25 Mark. Zur „Abwehr“ derartiger Kriegsschiffe bot der gleiche Katalog eines Würzburger Kaufhauses aus dem Jahr 1912 ein „Küsten- und Festungsgeschütz“ an, mit „durch Schneckengewinde drehbarer Lafette, fester Lage des Rohres und gediegener Konstruktion in Eisen und Messing, 25 Zentimeter hoch, Preis: 14,50 Mark“.
Neben diesen herkömmlichen Waffen fanden auch die neuesten kriegstechnischen Errungenschaften ihren Weg in solche Kataloge. Die erste Form der Luftwaffe, der Kriegszeppelin, und die neue Wunderwaffe zur See, das U-Boot, gehörten zu den begehrtesten Spielzeugen der Zeit. Auch dazu wurden entsprechende Abwehrwaffen angeboten.
„Zeppelin-Fahrt“; Deckelillustration eines Würfelspiels um 1910
„In 80 Tagen um die Welt.“ Deckelillustration eines Würfelspiels um 1900
Im Kaiserreich blieb die weihnachtliche Aufrüstung im Kinderzimmer also vor allem auf die reichen Haushalte beschränkt. Schließlich konnten auch nur Söhne aus reichen Familien in den Offiziersstand aufsteigen.
Die Mädchen wurden vor allem auf ihre Aufgaben als Hausfrauen und Mütter im späteren Erwachsenenleben vorbereitet, sehr anschaulich kommt das auch im „Lied vom feinen Mädchen.“ zum Ausdruck:
„Ich
bin ein feines Mädchen,
kann
drehen das Rädchen,
kann
stricken die Maschen
und
flicken die Taschen,
kann
nädeln und putzen
und
fädeln und stutzen,
kann
laufen und springen
und
tanzen und singen,
kann
braten und kochen
das
Fleisch und die Knochen.“
(Aus der „Hoffmann-Fibel“, Oldenbourg Verlag, München, um 1910)
Entsprechend waren Bücher und Spielzeug für die Mädchen auf den häuslichen Bereich ausgerichtet. Puppen mit allem Zubehör usw. gehörten also zur Standardausstattung eines Mädchenzimmers. Auch hierzu boten die Geschäfte ein reichhaltiges Sortiment an, so eine „entzückende Gelenkpuppe in Dirndlkostüm, mit schönem Miederröckchen, weißer Schürze und feinem Tirolerhut, mit schönen, langen Zöpfen, ca. 29 cm hoch, mit Schlafaugen, 1 Stück im Karton“ für 0,75 Mark, oder einen „sehr großen Kochherd mit zwei Türen, zwei Spirituslampen, Kochtopf, Pfanne und großem Backofen“ für 2,35 Mark.
Abgerundet wird die
Ausstellung mit farbenprächtigen Kinderbüchern und Spielen, die die
Kinder vor 100 Jahren mit den neuesten Erfindungen, fernen Erdteilen
usw. vertraut machen sollten, wobei auch die Laterna magica häufig
zum Einsatz kam, und mancher Junge träumte beim Betrachten der
farbigen Bilder aus fernen Ländern, die mit der „Zauberlaterne“
an die Wand projiziert wurden, davon, die
bürgerliche Enge seiner Heimat zu verlassen und in der Ferne, etwa
im Wilden Westen, die tollsten Abenteuer zu erleben.
Die Laterna magica – ein zauberhaftes Weihnachtsgeschenk
Auf einem gut sortierten weihnachtlichen Gabentisch um 1900 fehlte die Laterna magica (= Zauberlaterne) nicht. Es war der erste Bildprojektor, der ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die fabrikmäßige Fertigung relativ billig und in großen Stückzahlen produziert wurde.
Deckelillustration auf einer Verpackungsschachtel für die Laterna magica um 1900
Bereits Mitte des 17. Jahrhunderts erfunden, ermöglichte es diese optische Maschine, Bilder der Fantasie bzw. der Magie oder Abbilder der Wirklichkeit an die Wand zu zaubern und war so die Attraktion auf Kirchweihen und Jahrmärkten.
Das Prinzip der Laterna magica war einfach: Mit Hilfe einer Kerze oder einer anderen Lichtquelle, eines Hohlspiegels und eines Objektivs mit zwei konvexen Linsen konnten bei Dunkelheit Bilder an die Wand projiziert werden. Bildvorlagen waren bemalte Glasstreifen, die zwischen Lichtquelle und Linse geschoben wurden.
Glasbildstreifen (Teilansicht) für die Laterna magica, um 1900
Die Zauberlaterne war bei den Kindern sehr beliebt und gerade an den langen Winterabenden eine abwechslungsreiche und häufige Form der Unterhaltung.
Bildreihen gab es zu fast allen Themen. Die Buben waren vor allem von den Bildfolgen aus fernen Ländern fasziniert.