Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum
vom 11.09.2021 bis 31.07.2022
„Wer hat Angst vorm bösen Wolf?“

"Der Wolf und die sieben Geißlein", Meinholds Schulwandbild um 1905; aus dem Bildarchiv des Lohrer Schulmuseums; (Foto: Bettina Merz)

"Der Wolf und die sieben Geißlein", Meinholds Schulwandbild um 1905;

aus dem Bildarchiv des Lohrer Schulmuseums; (Foto: Bettina Merz)


Kein anderes Tier hat über Jahrhunderte hinweg in der kulturellen Rezeption vieler Völker eine derart große und zum Teil ambivalente Rolle gespielt wie der Wolf. Am bekanntesten ist wohl die Sage von Romulus und Remus, den späteren Gründern der Stadt Rom (um das Jahr 753 vor Christus). Sie wurden der Sage nach als Kinder in einem Korb ausgesetzt und von einer Wölfin gesäugt, bis sie von einem Hirten entdeckt wurden.
In der Slowakei sollen die Recken Waligor und Wyrwidub, sowie der Gründer des altpersischen Reiches, Kyros II., von Wölfen großgezogen worden sein.
In den nordischen Mythologien kommt der Wolf sehr häufig vor. Zu den ständigen Begleitern des Kriegsgottes Odin gehörten auch die Wölfe Geri und Freki. Sie halfen bei der Jagd und galten als treu und kampfeslustig.
Am bekanntesten ist wohl die Sage von Romulus und Remus, den späteren Gründern der Stadt Rom (um das Jahr 753 vor Christus). Sie wurden der Sage nach als Kinder in einem Korb ausgesetzt und von einer Wölfin gesäugt, bis sie von einem Hirten entdeckt wurden. Darstellung 1652.(Kopie: Eduard Stenger)

Am bekanntesten ist wohl die Sage von Romulus und Remus, den späteren Gründern der Stadt Rom

(um das Jahr 753 vor Christus). Sie wurden der Sage nach als Kinder in einem Korb ausgesetzt

und von einer Wölfin gesäugt, bis sie von einem Hirten entdeckt wurden.

Darstellung 1652. (Kopie: Eduard Stenger)


Der letzte bekannte Wolf der nordischen Mythologie ist der Mondhund Managarm, der sich von sterbenden Menschen ernährt.
In indischen Legenden wird der Wolf als hilfsbereites und liebes Tier beschrieben, ähnlich in türkischen Erzählungen.
Viele Völker Zentralasiens sahen im Wolf einen direkten Vorfahren und verehrten ihn als heiliges Tier.
Eine besondere Variante des Wolfes war der Werwolf. Das Wort bedeutet in etwa „Mann-Wolf“ und entstand vor mehr als 1000 Jahren durch heidnische Rituale, in denen der Wolf als Beschützer gefeierte wurde. Medizinmänner, Schamanen und Anführer wickelten sich häufig in Wolfsfelle, und es hieß, sie seien von dem Tier besessen und bekämen dadurch magische Kräfte.
Werwolf, Holzschnitt von Lucas Chranach 1512; (Kopie: Eduard Stenger)

Werwolf, Holzschnitt von Lucas Chranach 1512;

(Kopie: Eduard Stenger)


Im ausgehenden Mittelalter durchlief der Werwolf eine grundsätzliche Veränderung. Er galt nun als blutrünstig und zerstörerisch, wurde mit Hexen und dem Teufel in Verbindung gebracht. Der 1486 von dem Dominikanermönch Heinrich Kramer verfasste "Hexenhammer" wurde zur juristischen Grundlage der Hexen- und Werwolfprozesse, duch die im 16. und 17. Jahrhundert tausende Menschen auf grausamste Weise zu Tode kamen. Spätestens unter Folter gaben die Angeklagten die gewünschten Geständnisse ab und starben dann auf dem Scheiterhaufen.
Bei den Werwölfen handelte es sich um Menschen (meistens Männer), die am Rand der dörflichen Gemeinschaft lebten, und die man gerne loswerden wollte. Werwolfprozesse waren aber auch ein Weg, die christliche Bedrohung durch den Teufel zu verdeutlichen, denn der Werwolf galt als Gehilfe des Teufels. Hatte nicht Christus auch in der Bergpredigt gewarnt: "Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe." Und Paulus hatte in seiner Abschiedsrede an die Ältesten von Ephesus geschrieben: "Denn das weiß ich, dass nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch kommen werden, die die Herde nicht verschonen werden."
Ein Bestseller wurde im Dritten Reich (1933-1945) der 1910 von Hermann Löns  geschriebene Roman "Der Wehrwolf" wegen seiner völkisch-heidnischen Tendenz. Eine neue Bedeutung erhielt der "Werwolf" gegen Ende des 2. Weltkriegs. Die 1944 von Heinrich Himmler angeordnete paramilitärische Organisation "Werwolf" sollte als "Widerstandsbewegung in den deutschen Grenzgebieten" durch einen Guerillakampf das Vorrücken der Alliierten stören. Vor allem Hitlerjugend-Mitglieder wurden in zwei- bis dreiwöchigen Kursen ab Herbst 1944 für die Sabotage ausgebildet.
Noch kurz vor Kriegsende 1945 erklärte Joseph Goebbels den Kampf jedes Deutschen bis zur "Selbstvernichtung" zur neuen Werwoflprämisse: "Hass ist unser Gebet und Rache unser Feldgeschrei. Der Werwolf hält selbst Gericht und entscheidet über Leben und Tod."
Auf den Kriegsverlauf hatten diese Aktionen keinen Einfluss.
NS-Zeitung „Front und Heimat“, April 1945, Titelausschnitt; (Kopie: Eduard Stenger)

NS-Zeitung „Front und Heimat“, April 1945, Titelausschnitt;

(Kopie: Eduard Stenger)


In den Märchen des christlich geprägten Abendlandes hatte kein Tier ein so schlechtes Image wie der Wolf.
Dieses Bild des bösen und hinterhältigen Raubtieres wurde auch durch die Gebrüder Grimm geprägt. Es waren vor allem die beiden Märchen "Rotkäppchen" und "Der Wolf und die sieben Geißlein", die über Generationen von Kindern die Angst vor dem Wolf verstärkten.
Noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörten großflächige Bildserien von den beiden Märchen zu dem Wandbildbestand der meisten Grundschulen. Auch in den Schulbüchern waren diese Märchen ein beliebtes Thema.
"Jupiter und Lycaon", Gemälds von Jan Cossiers (1600–1671, Belgien)

"Jupiter und Lycaon", Gemälds von Jan Cossiers (1600–1671, Belgien)
Dazu Ovids Metamorphosen: Der König Arkadiens, Lycaon, serviert Zeus
bei dessen
 Besuch Menschenfleisch und wird von dem erzürnten Zeus in einen Wolf verwandelt;

(Kopie: Eduard Stenger)


Mit Schulwandbildern, Auszügen aus Schul- und Kinderbüchern, Bildprojektionen mit der Laterna magica usw. ermöglicht die Sonderausstellung interressante und vielfältige Einblicke.

(Text: Eduard Stenger)
Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist unter Beachtung der coronabedingten Vorgaben von Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger telefonischer Absprache (Tel. 09352/4960 oder 09359/317) (unter Beachtung der coronabedingten Bestimmungen) außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.

Internet: www.lohr.de/schulmuseum
E-Mail: eduard.stenger@gmx.net


Wolf und Rotkäppchen
Politsatiren und Stoff für Wahlkämpfe
(Text: Eduard Stenger)


"Rotkäppchen", Ausschnitt aus Meinholds Schulwandbild 1904; aus dem Bildarchiv des Lohrer Schulmuseums; (Foto: Bettina Merz)
"Rotkäppchen", Ausschnitt aus Meinholds Schulwandbild 1904;
aus dem Bildarchiv des Lohrer Schulmuseums; (Foto: Bettina Merz)


Das Märchen „Rotkäppchen“ bot wie kein anderes Märchen in den letzten 200 Jahren eine ideale Plattform für hintergründig-satirenhafte Anspielungen auf den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Zeitgeist. Bemerkenswert ist dabei die jeweilige Rolle des Wolfes.

Schon als die Brüder Grimm „Rotkäppchen“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die literarische Form brachten, wie sie uns heute noch in den Märchenbüchern begegnet, war dieses Märchen für die Zeitgenossen auch ein Kommentar auf die damalige französische Invasion und Besatzung. Rotkäppchen stellte das deutsche Volk dar, der Wolf die französischen Besatzungstruppen und der Jäger wies auf die Dichter der Befreiungskriege 1806-1815 hin.

1831 verglich Heinrich Heine das zaristische Russland mit einem Wolf, der in großmütterlicher Verkleidung über die deutschen Rotkäppchen herzufallen drohte,
und Wladimir Majakowski beschrieb 1917 in einem Gedicht das revolutionäre Russland als einen Wolf, der rote Barettchen frisst.
Karl Kraus sah 1933 die deutsche Sozialdemokratie in der Rolle eines Mädchens, das ahnungslos Blumen im Wald sucht und nur mit viel Glück vor dem faschistischen Wolf gerettet wird. ((Aus: Hans Ritz, Die Geschichte vom Rotkäppchen, MURIVERLAG, Göttingen, 2000).

Auch die NS-Rassenideologen des Dritten Reichs fanden eine passende Ausdeutung: Der böse Wolf symbolisierte die Juden, Rotkäppchen das geknechtete deutsche Volk und im Jäger erkannten sie Hitler, der das arme deutsche Volk befreite.

Eine als politscher Witz getarnte Form des Widerstands gegen den toalitären NS-Staat war eine Rotkäppchen-Satire, die als Manuskript in Umlauf kam und auf die Lebensumstände im Dritten Reich anspielte. Vor allem der Ausruf des Jägers „Wie kann eine arische Großmutter so rassefremd schnarchen?“ wurde zur geläufigen Redewendung und führte die unsinnige Rassenlehre vor Augen. Als die Politsatire in der Faschingsausgabe der Münchner Neuesten Nachrichten 1937 erschien, wurden die verantwortlichen Redakteure von der Gestapo (= Hitlers geheime Staatspolizei) verhört und verwarnt, die Fachingsausgabe eingezogen.
In ähnlicher Weise, auch als Manuskript, machte 30 Jahre später in der DDR eine Rotkäppchen-Version mit zahlreichen hintergründigen Anspielungen
auf das Leben im sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat die Runde.

Als Wahlkampfhilfe in der BRD kam Rotkäppchen 1972 wieder „zu Ehren“. Im Frühjahr des Jahres lancierte die baden-württembergische CDU zum Landtagswahlkampf folgendes Inserat: „Rotkäppchen glaubte, die gute Großmutter liegt im Bett. In Wirklichkeit war es der Wolf. Er sprang heraus und fraß Rotkäppchen auf. Manche Bürger sind gutgläubig wie Rotkäppchen. Sie glauben, sie wählen die alte SPD! In Wirklichkeit aber wählen sie die Jusos. Die Radikalen bekommen die Mehrheit. Aber unser Volk will keinen Linkskurs! Wir mißtrauen sozialistischen Träumereien. Denn die sozialistische Wirklichkeit sieht anders aus. In der DDR, an der Mauer, in Prag. Die SPD-Parteitage beweisen: Die Jusos sind die SPD von morgen! Leider ist die SPD heute eine von links unterwanderte Partei.“
Große Probleme bekam 1979 der Landwirt Ulrich Bornebusch aus der Nähe der fränkischen Stadt Aurach, der einen Wolf mit den Zügen von Franz Josef Strauß und davor ein kleines Mädchen an seine Scheune malen ließ mit dem Text: Warum hast Du so ein großes Maul? Es folgte „eine Justizkomödie, die zu den dramatischten Bearbeitungen des jahrhundertealten Märchenstoffs gehört. Die Gerichte kamen ins Rotieren, im Landtag wurden Anfragen eingebracht, die Presse nahm sich des Falles an, Leserbriefe füllten die Spalten der Lokalzeitungen, die Behörden gerieten in die Defensive, das Verfahren wurde eingestellt“. (Aus: Hans Ritz, Die Geschichte vom Rotkäppchen, MURIVERLAG, Göttingen, 2000).

Dass auch noch heute bei politischen Auseinandersetzungen gelegentlich das Rotkäppchen in Erscheinung tritt, zeigt der folgende Auszug
aus einer Wahlkampfrede Jürgen Trittins im Jahr 2002: „Die SPD erinnert zur Zeit an ein ängstliches Rotkäppchen im Wald. Aber macht Euch keine Sorgen – es gibt Rettung für Rotkäppchen: Sie ist grün, grün wie des Jägers Jacke. Auf, auf ins Jagen – retten wir das Land vor dem schwarzen Wolf.“

Wahlkämpfer sollten aber auch beachten, dass Rotkäppchen im Allgemeinen von seinem Charakter her zwar als hübsch und liebenswert,
aber auch als leichtgläubig, naiv und mit einer Neigung zu Nonkonformismus und sexueller Ungebundenheit geschildert wird.

Bleibt noch zu erwähnen, dass im Märchen Rotkäppchens Vater nicht genannt wird. Tiefenpsychologen haben aber längst herausgefunden, dass der Vater „tatsächlich in zwei unterschiedlichen Formen zugegen ist – einmal als Wolf, die Externalisation der Gefahren, von ödipalen Gefühlen überwältigt zu werden, und zum anderen als Jäger in seiner beschützenden und rettenden Funktion“. (Aus: Bruno Bettelheim, Kinder brauchen Märchen, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 1980).

Übrigens: Die ursprüngliche Literaturgeschichte des Märchens „Rotkäppchen“ begann, als der Franzose Charles Perrault 1697 in Paris
 „Rotkäppchen“ unter dem Titel „Le petit chaperon rouge“ drucken ließ.

Perrault war eine Art Hofdichter, der seine Erzählungen adeligen Damen widmete und jeder Geschichte eine lehrhafte Moral anhängte.



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