Neues aus dem Lohrer Schulmuseum:
Die Kartoffel in der Schule

Sonderausstellung des Lohrer Schulmuseums vom 4. März bis 6. August 2018

Titelseite „Die Kartoffelkäfer-Fibel“, 1941 herausgegeben vom „Kartoffelabwehrdienst des (NS) Reichsnährstandes“ und vor allem zur Verteilung an die Volksschulen bestimmt.
Titelseite „Die Kartoffelkäfer-Fibel“, 1941
„Lauser“, Schülerzeitung der VS Sackenbach 1993/94; Titelbild (der Schulleiter als Kartoffelkönig)
„Lauser“, Schülerzeitung der VS Sackenbach 1993/94;
Titelbild (der Schulleiter als Kartoffelkönig)

Noch bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts fand die Kartoffel in den Schulbüchern wenig Beachtung.
Dann wurden, wie Belegstücke im Archiv des Schulmuseums beweisen, Themen rund um die Kartoffel ein beliebtes Aufsatzthema für die Abschlussklassen der damals siebenjährigen ländlichen Volksschulen.
So hatte Anton Stenger, Schüler der 7. Klasse der Halsbacher Volksschule am 11. April das Thema „Beim Kartoffellegen“ zu bearbeiten. Er schrieb u. a.:
„Jetzt wird wieder allmählich mit dem Kartoffellegen begonnen und es ist jetzt auch Zeit. Seither war es immer noch zu feucht, jetzt ist aber günstige Witterung. In sandigen Markungen, wo es nicht so feucht war, sind schon viele Kartoffeln gelegt. (...) Die Kartoffeläcker hat der Vater schon im Herbst mit Mist gedüngt und umgeackert. Im Frühling mußten sie nur noch geeggt werden. Jetzt liegen sie zum Kartoffellegen vollständig bereit und am Samstag haben wir damit begonnen. Wollen wir Kartoffeln legen, so stellen wir zu Hause die Körbe mit den Kartoffeln auf den Wagen und der Vater fährt hinaus auf den Acker. Die Körbe werden vorne und hinten heruntergestellt, dann wird mit dem Kartoffellegen begonnen. Der Vater fährt mit dem Pfluge voran und die Mutter drückt die Kartoffeln schrittweise immer an die dritte Furche, mit welcher die Kartoffeln zugedeckt werden, dann wird seichter geackert.“
Titelseite „Karl Kahlfraß und sein Lieschen, Bilderbuch für große und kleine Kinder. Herausgegeben vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der DDR“.
 „Karl Kahlfraß und sein Lieschen, Bilderbuch für große und kleine Kinder. Herausgegeben vom Ministerium
 für Land- und Forstwirtschaft der DDR“.Das 1952 herausgegebene Schriftchen stand ganz im Zeichen des
Kalten Krieges und benutzte das vermehrte Auftreten des Kartoffelkäfers auch durch eine entsprechende Darstellung
(der Käfer als Uncle-Sam-Karikatur usw.) zu den üblichen Propaganda-Angriffen gegen die USA.

Zwei Jahre später, am 4. November 1914, schrieb sein Bruder Vinzenz Stenger, Schüler der 7. Klasse der Halsbacher Volksschule zum Aufsatzthema: „Wie wir uns von Kartoffeln nähren.“:
„Die Kartoffeln sind außer dem Brot das wichtigste Nahrungsmittel. Wir können sie nicht entbehren. Sie sind nicht nur eine bevorzugte Speise für die Reichen und Wohlhabenden, sondern ein Hauptnahrungsmittel für die breiten Volksmassen und besonders für die Armen. Diese sind fast ganz auf die Kartoffeln angewiesen, weil sie die anderen teuren Lebensmittel nicht kaufen können.
Auch wir essen fast jeden Tag Kartoffeln, immer in einer anderen Zubereitung. Sie bringen uns immer die erwünschte Abwechslung in unsere Kost. Ohne dieselben wüßte die Mutter oft gar nicht, was sie anfangen sollte.Aus Kartoffeln können die verschiedensten Speisen gerichtet werden. Sie werden in der Schale abgesotten und dann zu Milch, Heringen oder Wurst gegessen. Das ist rasch hergerichtet und doch ein schmackhaftes Abendessen.
Außerdem werden auch Gemüse, Brei, Salat, Suppe, Klöße, Pflaumenkuchen u. dgl. daraus hergestellt.
Auch zu feinerem Backwerk wie Kuchen und Torten werden Kartoffeln verwendet.“

Nach wie vor aber fand das Thema „Kartoffel“ bei den Schulbuchautoren wenig Beachtung.

Einen besonderen Aufgabenbereich brachte das 3. Reich für die Schulen im Hinblick auf die Kartoffel. Das massenhafte Auftreten des Kartoffelkäfers wurde mehr und mehr zu einer ernsthaften Gefahr für die Volksernährung.
Nun wurden für die Schulen Suchtage zur Bekämpfung des Kartoffelkäfers angeordnet. Klassenweise zogen die Schülerscharen in der Befallszeit mit Schachteln und Dosen über die Kartoffeläcker, um Käfer, Larven und Eier einzusammeln. Die Nazis gaben 1941 eigens für die Schulen eine illustrierte Kartoffelkäferfibel heraus, um zum richtigen Umgang mit dem Schädling anzuleiten und zu motivieren.
Ein anschauliches Beispiel aus der Fibel:
„Denkt euch nur, ein Käferpaar
hat in einem einz'gen Jahr
Nachgeborne viel Millionen.
Wenn sie nur ein Feld bewohnen,
müßte dieses Feld allein,
will die Käferbrut gedeih'n,
zwei ein halbes Hektar messen.
Alles würde aufgefressen,
und uns fehlen – ja wir grollen -
fünfundvierzig Tonnen Knollen.“
Seite aus „Karl Kahlfraß und sein Lieschen, Bilderbuch für große und kleine Kinder. Herausgegeben vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der DDR“.
Seite aus „Karl Kahlfraß und sein Lieschen, Bilderbuch für große und kleine Kinder.
Herausgegeben vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der DDR“.

Unmittelbar nach dem Ende des 2. Weltkriegs war die Gefährdung der Kartoffelernte durch den Kartoffelkäfer besonders groß, da auch geeignete Spritzmittel nicht mehr zu haben waren. Dieser Notstand veranlasste den damaligen Bürgermeister von Lohr a.Main A. Franz am 1. Juni 1945 zu der  folgenden Bekanntmachung im 'Mitteilungsblatt für die Aemter, Behörden und das Bürgermeisteramt Lohr':
„Sämtliche hier wohnenden Lehrkräfte aller Schulen werden ab Montag zur Kartoffelkäfer-Suchaktion eingeteilt. Führer der Aktion: Oberlehrer Pfriem.
Alle Schülerinnen und Schüler sämtlicher Schulen im Alter von 8-13 Jahren haben sich hierzu am kommenden Montag, 4. Juni, vormittags 9 Uhr auf dem Mainländeplatz unterhalb der Mainbrücke für die Suchaktion zur Verfügung zu stellen.“
Stundenplan-Vordruck aus dem Dritten Reich: „Achtet auf den Kartoffelkäfer!
Stundenplan-Vordruck aus dem Dritten Reich: „Achtet auf den Kartoffelkäfer!

Eine politische Ausrichtung erfuhr der Kampf gegen den Kartoffelkäfer einige Jahr später in der damaligen DDR. Die verderbenbringende Pest (der Kartoffelkäfer) aus den USA - angeblich wurden per amerikanische Flugzeuge Kartoffelkäfer über dem Territorium der DDR abgeworfen - sei Kampf gegen die Kriegspläne der Imperialisten, sei Kampf für den Frieden.
Das verdeutlicht auch das 1952 herausgegebene Schriftchen „Karl Kahlfraß und sein Lieschen, Bilderbuch für große und kleine Kinder. Herausgegeben vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der DDR“, in dem, ganz im Zeichen des Kalten Krieges, das vermehrte Auftreten des Kartoffelkäfers auch durch eine entsprechende Darstellung (der Käfer als Uncle-Sam-Karikatur usw.) zu den üblichen propagandistischen Angriffen gegen die USA benutzt wurde.
Wieder mussten sich die Schulen an den Suchaktionen beteiligen.

In den Fibeln und Lesebüchern der Grundschulen in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die „Kartoffel“ zum obligatorischen Bestandteil - die Kartoffel war damals ein willkommenes Grundnahrungsmittel, und das manifestierte sich auch in den Texten der Lesebücher.
„Am Kartoffelfeuer.“,Seite aus der Fibel „Komm und lies, Schreib-Lesefibel für unsere Kleinen in Stadt und Land, Adolf Rausch Verlag Heidelberg 1952“
„Am Kartoffelfeuer.“,Seite aus der Fibel „Komm und lies,
Schreib-Lesefibel für unsere Kleinen in Stadt und Land,
Adolf Rausch Verlag Heidelberg 1952“
„Peter sucht Kartoffeln.“, Seite aus der Fibel „Sonnenfibel“, herausgegeben von Dr. Maria Koch, Bilder von Else Wenz-Vietor, pädagogischer Verlag Schwann, Düsseldorf, 8. Auflage
„Peter sucht Kartoffeln.“, Seite aus der Fibel „Sonnenfibel“, herausgegeben von Dr. Maria Koch, Bilder von Else Wenz-Vietor, pädagogischer Verlag Schwann, Düsseldorf, 8. Auflage

Mit den Schulreformen ab den 60er Jahren und dem steigenden Wohlstand beginnt dann wieder ein abnehmendes Interesse am Kartoffelthema.
Umso erstaunlicher ist, dass es in jüngster Zeit wieder auflebt.
Die umfangreiche Arbeitsmappe „Die tolle Knolle – Fächerübergreifende Unterrichtsmappe rund um die Kartoffel“ von 1994 zeigt mit sieben Unterrichtseinheiten und entsprechenden Querverbindungen Möglichkeiten der unterrichtlichen Gestaltung. Im Bildungsserver "//Lernarchiv Grundschule Sachunterricht" von Hessen werden ein Lernzirkel zum Thema "Kartoffel" mit 44 Seiten, außerdem Unterrichtseinheiten und Anregungen angeboten. Im Rahmen eines EU-Schulobstprogramms bietet Nordrhein-Westfalen Material mit 16 Themen zur Kartoffel; sogar ein Film mit dem Titel "Kartoffel - Geheimtipp aus Peru" kann abgerufen werden.
Illustration zum „Das Märchen vom guten Kartoffelkönig.“, bayerisches Lesebuch für das 3. und 4. Schuljahr, 1947, Bayerischer Schulbuchverlag
Illustration zum „Das Märchen vom guten Kartoffelkönig.“, bayerisches Lesebuch für das 3. und 4. Schuljahr, 1947, Bayerischer Schulbuchverlag

Auf die wohl bemerkenswerteste Verknüpfung der Kartoffel mit der Schule wies Horst Schiffler, Professor im Ruhestand, bei seinem Vortrag „Kartoffel und Schule“ 2013 beim Kartoffelclub „SOCIETAS AD USUM POTATONIS“ hin: „Als der heutige Kartoffelkönig vor mehr als 60 Jahren mit der Schule in Berührung kam, muss das den Jungen so beeindruckt haben, dass er sich nie mehr davon befreien konnte - er blieb ihr als Lehrer, als Rektor, als Kartoffelkönig verbunden.
Der Gedanke, einmal ohne Schule leben zu müssen, hat ihn zutiefst beunruhigt. Doch mit unbändiger Kreativität, die die gewaltige Einverleibung fränkischer Kartoffeln auslöste, zwang er die Schule in ein Museum, übrigens das einzige Museum unter königlicher Leitung. Die durch königliche Würde veredelte Kartoffel trifft auf die historisch verklärte Schule - kann es eine gelungenere Symbiose geben?“

Die Kartoffel im Mathematik-Unterricht 1960 – 2010   
     Eine Metapher auf die Effekte der Pisa-Studie

1. Im Jahre 1960 / Hauptschule:
Ein Bauer verkauft einen Sack Kartoffel für 50,-- DM. Seine Unkosten betrugen 40,00 DM.
Wie hoch ist sein Gewinn?


2. Im Jahre 1970 / Realschule:
Ein Bauer verkauft einen Sack Kartoffel für 50,-- DM. Seine Erzeugungskosten betrugen vier fünftel des Erlöses.
Wie hoch ist sein Gewinn?


3. Im Jahre 1980 / Gymnasium:
Ein Agrarökonom verkauft eine Menge subterraner Feldfrüchte für eine Menge Geld (G). G hat die Mächtigkeit von 50. Für ein Element aus G = g gilt = öS 1,--. Die Menge der Herstellungskosten (H) ist um zehn Elemente weniger mächtig als die Menge G. Zeichnen Sie das Bild der Menge H als Teilmenge G und geben Sie die Lösungsmenge (L) an für die Frage: Wie mächtig ist die Gewinnmenge?

4. Im Jahr 1990 / integrierte Gesamtschule:
Ein Bauer verkauft einen Sack Kartoffeln für DM 50,-- . Die Erzeugerkosten betragen DM 40,--. Der Gewinn DM 10,--. Aufgabe: Unterstreiche das Wort „Kartoffeln“ und diskutiere mit Deinem Nachbarn darüber!

5. Im Jahre 2000 / Schule nach der Bildungsreform:
Ein kapitalistisch-privilegiertes bauer bereichert sich ohne rechtfertigunk an einem sak gartofeln um 10 €. Untersuch das tekst auf inhaltliche feler, korigire das aufgabenstellunk und demonstrire gegen das losunk.

6. Im Jahre 2010:
es gipt keine gartofeln mer! Nur noch pom fritz bei mec donald!


Die Sonderausstellung im Eingangsbereich des Lohrer Schulmuseums zeigt mit sechs Vitrinen an verschiedenen Beispielen die Kartoffel als Unterrichtsthema und ermöglicht so nebenbei auch Erkenntnisse über den jeweiligen Zeitgeist der vergangenen Zeit von 1900 bis 2000.

Mit dem politisch-geschichtlichen Konzept, das auf die Zeit von 1789 (Französische Revolution) bis 1989 (Zusammenbruch der DDR) ausgerichtet ist und die Abhängigkeit der Schulentwicklung und des gesamten Erziehungswesens von totalitären Strömungen dieser Epoche akzentuiert, hat sich das Lohrer Schulmuseum schnell einen überregionalen Ruf als bedeutende Dokumentationsstätte des pädagogischen Alltags vergangener Zeiten erworben.
Schwerpunkte des Museums sind das Deutsche Kaiserreich (1871-1918) und das Dritte Reich (1933-1945). Die Anordnung der Themenkreise unter Einbeziehung der außerschulischen Erziehung (z.B. im Elternhaus und durch die Kirchen) verdeutlicht Ähnlichkeiten, Veränderungen und Unterschiede dieser Zeitabschnitte.
Das Lohrer Schulmuseum zählt heute, auch in Bezug auf Raumgestaltung und Präsentation, national wie international zu den attraktivsten Museen seiner Art.

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis Sonntag und an allen
gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger
Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.
(Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main;
Tel. 09352/4960 oder 09359/317,
e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)

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