Freundschaftsbuch in Schuberform eines Aschaffenburgers mit Einträgen aus den Jahren 1824 bis 1830.
Es fand sich im Nachlass der Lohrer Familie Göpfert. In der Bildmitte ein Einlageblatt, 1827 geschrieben
von einem Häfnergesellen. Dazu passendes Schreibset.
Das sog. Poesiealbum ist heute eine allgemein bekannte und vor allem
bei den Mädchen beliebte Formm, sich der gegenseitigen Freundschaft und
Zuneigung in Bild und Wort zu versichern.
Entstanden ist das Poesiealbum aus dem sog. Stammbuch, das auch als
„Album amicorum“ (= Album der Freunde) ab der Mitte des 16.
Jahrhunderts in Umlauf kam. In die meist querformatigen Büchlein, auch
in Schuberform, trugen sich Freunde, Verwandte, Gönner usw. als Zeichen
ihrer Freundschaft mit handschriftlichen kurzen Texten, oft in
Versform, ein.
Im 18. Jahrhundert entstand eine eigene Industrie, die vorgefertigte
Grafiken als „Stammbuchblätter“ anbot, die individuell beschriftet und
dann eingeheftet wurden. Vor allem bei den Studenten erfreute sich das
Stammbuch großer Beliebtheit. Es diente ihnen auch zum Sammeln von
Empfehlungsschreiben der Professoren und anderer für sie wichtigen
Persönlichkeiten und war so gewissermaßen eine Art Legitimation, wenn
sie sich bei einer anderen Universität vorstellten. Der Ausdruck
„jemandem etwas ins Stammbuch schreiben“ bezieht sich wohl auf diese
Gewohnheit.
Vor allem Beweise einer „wahren und ewigen Freundschaft“ sollten die
Einträge in Losblattform in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sein.
So schrieb Leonhard Haack aus Markt-Erlbach einem Freund 1851 ins „Freundschaftsbuch“.
„Jugend währt nur kurze Zeit,
Mit ihr flieht die holde Freude,
Freundschaft währet in Ewigkeit,
Dieser Wahlspruch für uns beide.
Zur öfteren Erinnerung an
Deinen aufrichtigen Freund.“
Poesiealbum der Lohrer „höheren Tochter“ Karolina („Lilly“) Göpfert mit Einträgen aus dem Jahr 1914,
Abschlussfoto 1914 vor dem Institut der Franziskanerinnen, hintere Reihe rechts neben dem Denkmal stehend Karolina Göpfert.
Die meisten Einträge in dem Poesiebuch stammen von den Mitschülerinnen.
Ab 1850 kam das Stammbuch bzw. Freundschaftsbuch nach und nach außer
Mode. Nun übernahmen mit entsprechenden Widmungen versehene
Couleurartikel die Funktion des Freundschaftssouvenirs, wie sie noch
heute bei den Studentenverbindungen üblich sind.
Das Poesiealbum trat an die Stelle
des Freundschaftsbuches und wurde eine vor allem bei Mädchen beliebte
Form der Zuneigung und Freundschaftsbezeugung.
Die Texte der frühen Poesiealben sind
oft noch sehr beeinflusst von der Biedermeierzeit und der Romantik in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und entsprechend unpolitisch.
Neben den üblichen Zwei- und Vierzeilern finden sich auch ausführliche
Gedichte, sorgfältig niedergeschrieben und illustriert, so der
nachstehende Eintrag aus dem Jahr 1879:
„Asyl!
Wenn Du ein tiefes Leid erfahren,
Tiefschmerzlich, unergründlich bang,
Dann flüchte aus der Menschen Scharen,
Zum Walde richte Deinen Gang.
Die Felsen und die Bäume wissen
Ein Wort zu sagen auch vom Schmerz;
Der Sturm, der Blitz hat oft zerrissen
Die Felsenbrust, des Waldes Herz.
Sie werden Dir kein Trostwort sagen,
Wie hülfereich die Menschen tun;
Doch wird ihr Echo mit Dir klagen,
Und wieder schweigend mit Dir ruh'n!“
Doppelseite aus dem Poesiealbum der Lohrer „höheren Tochter“ Karolina („Lilly“) Göpfert
mit Einträgen aus dem Jahr 1914; dazu passendes Schreibset.
Wie sehr auch die
Einträge in den Alben von dem gesellschaftlichen und politischen
Zeitgeschehen beeinflusst wurden, zeigen die Widmungen aus der Zeit des
Dritten Reichs (1933-1945):
17. 3. 1934: „ Wer leben will, der kämpft!
Und wer nicht streiten will in dieser Welt des ewigen Ringens,
verdient das Leben nicht. Adolf Hitler.“
April 1935: „Sei immer treu und edel
Und bleib ein Deutsches Mädel!“
25. 3. 1939: „Sieh im letzten deiner Volksgenossen immer noch den
Träger deines Blutes, mit dem dich das Schicksal auf dieser Erde
unzertrennlich verbunden hat und schätze deshalb in deinem Volke den
letzten Straßenfeger höher als den König eines fremden Landes. (Adolf
Hitler)“
23. 1939: „Frei ist nicht, wer tun kann, was er will, sondern wer werden kann, was er soll.“
21. 11. 1939: „Leben heißt kämpfen, opfern, reifen, emporsteigen!“
Nach den üblen Erfahrungen mit dem NS-Reich wurde das Poesiealbum
wieder unpolitisch. Allerdings befindet sich in dem Poesiealbum einer
Lohrer Schülerin ein bemerkenswerter Eintrag aus dem Jahr 1953 (!):
„Kämpfen kann ich nur für etwas, das ich liebe. (Hitler)“ - ein
Beispiel für die „unpolitischen“ Nachkriegsjahre, in denen viele
LehrerInnen im Geschichtsunterricht möglichst das Dritte Reich
weitgehend ausklammerten oder nicht entsprechend kritisch darstellten.
Im Wesentlichen aber waren, und ähnlich bis heute, nun wieder die unpolitisch-typischen Zwei- und Vierzeiler beliebt, so z. B.:
„Bist du einst in weiter Ferne,
bist du über Berg und Tal,
so gedenk an deine Heimat,
aber auch an mich einmal.“
„Wie zwei Täubchen sich küssen
Die nichts von Falschheit wissen
So fromm und so rein
Soll auch unsre Freundschaft sein.“
„Tief im Moose verborgen,
Blüht ein Blümlein ohne Sorgen,
Dieses Blümlein spricht:
Lebe wohl,vergiß mich nicht!“
Originalgetreue Miniaturnachbildungen des Helmes des preußischen „Garde du Corps“-Regiments als Tintenfässchen, um 1910
–
interessante Belegstücke für den überschäumenden Militarismus dieser
Zeit, und Doppelseite aus dem Album einer Würzburger
Schülerin mit Einträgen von 1907 bis 1915 Anmerkung: Das preußische "Garde du Corps"-Regiment war das Wach-Regiment
vor dem kaiserlichen Palais in Berlin, es war die „Leibgarde“ des Kaisers.
Übrigens: Dass die
Poesiealben oft auch von Eltern dazu benutzt wurden, ihren Kindern
wichtige Lebensregeln mit auf den Weg zu geben, zeigt sich in dem
bemerkenswerten Eintrag eines Offenbacher Vaters vom 20. Januar 1929 in
das Poesiebuch seiner Tochter Annemarie Repp
1) „Habe Achtung vor jedem anständigen Menschen,
Einerlei, aus welcher Familie er kommt,
In welchem Kleide er einhergeht,
Welche Schule er besucht hat,
Welchen Stand er bekleidet,
Welcher Rasse er entstammt,
Und wie er zu Gott betet.
2) Habe Achtung vor jeder ehrlichen Arbeit,
Einerlei, ob sie mit dem Kopfe oder der Hand,
In der Fabrik oder in der Werkstatt,
Im Laden oder in der Schreibstube,
Daheim oder unter freiem Himmel,
Oder im Schacht unter der Erde ausgeübt wird.“
Poesiealbum der Theresia Freitag (verh. Stenger) aus Halsbach mit Einträgen aus dem Jahr 1918;
dazu Griffelkasten, Schreibfederhalter und Tintenfass
Ob sich das Poesiealbum auch noch in der zukünftigen Kommunikation behaupten kann, erscheint allerdings eher fraglich.
Was bleibt sind Erinnerungen an die Jugend, an Freundschaften und Zuneigung.
Darüber hinaus sind Freundschaftsbücher und Poesiealben anschauliche
Informanten, die auf eine ganz besondere Weise viel aussagen können
über Moral, Lebensweisheiten und individuelle Lebenswelten vergangener
Epochen.
Doppelseite aus dem Poesiealbum der Theresia Freitag (verh. Stenger) aus Halsbach.
„Aus Freundschaft!
Ich weiß ein schönes Sprügelein (gemeint ist wohl: Sprüchelein)
Das hat Gold in sich,
Läßt Du es Dir befohlen sein,
Im Herzen freut es Dich
Es heißt: O, liebe mich.
Das
Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis
Sonntag und an allen
gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr
geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger
Absprache außerhalb der
regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.
(Kontakt: Eduard Stenger,
Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main;
Tel. 09352/4960 oder 09359/317,
e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)

zurück zur Startseite