Die Schrift - ein Spiegel der Seele
Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum
ab 27. Januar bis 3. März 2019
„Litterae est imago animae.“ (= Die Schrift ist das Spiegelbild der Seele.). Diese alte lateinische Spruchweisheit erinnert daran, welch hohen Stellenwert die Handschrift über Jahrhunderte hinweg hatte und auch noch hat. So gehen Graphologen davon aus, dass die Handschrift z.B. Rückschlüsse auf charakterliche Eigenschaften, Sozialverhalten, Persönlichkeitsreife, Arbeits- und Führungseigenschaften ermöglicht. Auch der Spruch „Zeige mir deine Schrift, und ich sage dir, wer du bist!“,
weist darauf hin, dass der schreibende Mensch unbewusst viel von seiner Persönlichkeit offenbart.
Diese Erkenntnisse fanden ihren Niederschlag in Schule und Erziehung.
Schönschreiben/Schriftpflege war in den vergangenen Jahrhunderten ein wichtiger Teil des Unterrichts, oft mit mehreren Wochenstunden, so in einem Stundenplan für die Lohrer Volksschule von 1824.

Seite aus dem Lehrmittelkatalog der Firma K. F. Koehler in Leipzig, 20. Ausgabe, März 1911.
Seite aus dem Lehrmittelkatalog der Firma K. F. Koehler in Leipzig,
20. Ausgabe, März 1911.
Deutsche Schrift - Schreibheft mit Einträgen im Jahr 1880
Deutsche Schrift - Schreibheft mit Einträgen im Jahr 1880

2015 gab der Deutsche Lehrerverband eine Umfrage in Auftrag zum Thema „Schülerschrift“. Etwa 2000 Lehrerinnen und Lehrer aus allen Bundesländern wurden befragt und es stellte sich heraus, dass etwa 51 Prozent der Schüler und 31 Prozent der Schülerinnen Schwierigkeiten beim Handschreiben haben und nur etwa 29 Prozent der Kinder im 5. und 6. Schuljahrgang länger als 30 Minuten ohne größere Beschwerden mit der Hand schreiben können. Andere Untersuchungen  kamen zu dem Ergebnis, dass jeder sechste Schüler nicht leserlich schreiben kann.
Deutsche Normalschrift (ab dem Schuljahr 1941/42;  siehe Rundschreiben der NSDAP am 3. Januar 1941.) - Doppelseite aus einem Aufsatzheft im Schuljahr 1943/44
Deutsche Normalschrift (ab dem Schuljahr 1941/42;  siehe Rundschreiben der NSDAP am 3. Januar 1941.)
- Doppelseite aus einem Aufsatzheft im Schuljahr 1943/44

Der allmähliche Verfall der Handschrift hat seinen Grund in der Neubewertung ihres Stellenwertes in bezug auf das Lernen an sich. Die zunehmende Mechanisierung und Technisierung des Schreibprozesses - etwa durch die Verwendung digitaler Medien - mache ein systematisches Üben der Schrift überflüssig, so die Protagonisten der 68er Bewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und deren Nachfolger, die jede Form von Drill, Anpassung usw. ablehnten und somit auch das systematische Einüben der Handschrift mit entsprechend strengen Normen. Die Schreibübungen mit genauen Formvorgaben schienen nicht mehr zeitgemäß bis hin zu dem Verzicht der Schreibschrift zugunsten der angeblich leichteren Druckschrift, etwa an den Hamburger Schulen, die ihren Schülern freistellen, ob sie die Schreibschrift lernen wollen.
Das Ergebnis war und ist eine mangelnde Schriftkompetenz vieler Schüler mit allen Folgen, die sich daraus ergeben.

Deutsche Schrift - Seite aus dem Aufsatzheft der Schülerin Klara Freitag im Schuljahr 1918/19, 6. Jahrgang der Volksschule Halsbach (heute Stadtteil von Lohr a. Main)
Deutsche Schrift - Seite aus dem Aufsatzheft der Schülerin Klara Freitag
 im Schuljahr 1918/19, 6. Jahrgang der Volksschule Halsbach
 (heute Stadtteil von Lohr a.Main)
Vereinfachte Ausgangsschrift der DDR (ab 1968); Schriftblatt eines Erstklässler – Aufnahme in die Kinderorganisation "Jungpioniere" der DDR im Rahmen einer entsprechenden Feier
Vereinfachte Ausgangsschrift der DDR (ab 1968); Schriftblatt eines Erstklässler
– Aufnahme in die Kinderorganisation "Jungpioniere" der DDR im Rahmen
 einer entsprechenden Feier

In einer Sonderausstellung zeigt das Lohrer Schulmuseum Hefte und Schriftstücke aus dem Archiv des Museums über den Zeitraum von gut hundert Jahren bis heute.
Wie bedeutungsvoll die Handschriften der Schüler waren, daran erinnern auch die Schriftnoten in den Schulzeugnissen bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, meist Einser, nur sehr selten ein Genügend. Diese Note erhielt ein Gymnasiast des Staatlichen Gymnasiums in Warendorf 1929. Das war aber die Ausnahme.
Schulpreise gab es schon im antiken Griechenland und Rom auch für Schönschreiben.
Schulpreise gab es schon im antiken Griechenland und Rom auch für Schönschreiben.

Er befand sich da allerdings in guter Gesellschaft mit dem Schriftsteller Otto Julius Bierbaum, der 20 Jahre früher auf eine Autogrammkarte schrieb: „Wenn die Schrift der Spiegel der Seele ist, so besitze ich eine schwer lesbare Seele.“

(Text Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a. Main
(Fotos von Bettina Merz, Mitarbeiterin am Lohrer Schulmuseum)

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis Sonntag und an allen
gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger
Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.
(Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main;
Tel. 09352/4960 oder 09359/317,

e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)
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