Folgen der Schulzeugnisse – Auszüge aus der Allgemeinen Deutschen Lehrerzeitung
(in Klammern das jeweilige Jahr)
„Vor der Strafkammer des Würzburger
Landgerichts stand eine Taglöhnersfrau, weil sie in dem Censurbuche
ihres schulpflichtigen Kindes einige von dem Lehrer gemachte, ihr
unliebe Bemerkungen ausradierte, resp. ein bezügliches Blatt des
Censurbüchleins herausgerissen hatte, wegen Vergehens der
Urkundenfälschung nach § 274 des R.-Str.-Ges.-B. Das Gericht erkannte
nur auf eine Übertretung nach § 363 des R.-Str.-Ges.-B. und
verurteilte die Angeschuldigte zu zwei Tagen Haft.“ (1887)
„In Osnabrück hat sich ein zwölfjähriger Bürgerschüler auf dem
Nachhauseweg in einem Gehölz erhenkt, weil er nicht versetzt worden
war.“ (1890)
„Der Sohn eines Müllers in Erfurt hatte Ostern eine schlechte Zensur
mit nach Hause gebracht. Anstatt nun, wie es sich gehört hätte, den
Jungen den Rohrstock kosten zu lassen, hat der Vater eine den
betreffenden Lehrer beleidigende Bemerkung unter die Zensur
geschrieben. Er ist deshalb vom Schöffengericht zu 10 M. Geldstrafe
verurteilt worden.“ (1891)
„Posen. Ein Schulknabe im Alter von 14 Jahren, der die hiesige
Mittelschule besucht, wollte sich an seinem Lehrer rächen, weil ihm
dieser voraussichtlich eine schlechte Zensur erteilen würde. Er wartete
mit einem Stocke vor dem Schulhause; ein Freund im Alter von 15 Jahren,
der einen Strick trug, wollte ihn bei seinem geplanten Überfall
unterstützen; aber die beiden Bürschchen wurden durch die Polizei von
ihrer Absicht abgebracht.“ (1898)
„Nürnberg. Ein Arbeiter, der mit dem von einer Lehrerin seiner Tochter
ausgestellten Zeugnisse nicht einverstanden war, da er glaubte, das
Kind habe ein besseres Zeugnis verdient, zerriß das Zeugnis vor den
Augen der Lehrerin und warf es ihr vor die Füße. Das Schöffengericht
erblickte in der Handlungsweise des Mannes eine Beleidigung und
verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 4 M.“ (1901)
„Waltershausen. Eine Censurverteilung unter polizeilicher Bedeckung ist
jüngst hier vorgekommen. Als Schuldirektor Hofmann an die
Fortbildungsschüler die Censuren verteilte, hatten sich zu dessen
persönlicher Sicherheit zwei Polizisten eingefunden. Anlaß zu dieser
ganz außergewöhnlichen Maßregel war der Umstand, daß sich vor einiger
Zeit einige Fortbildungsschüler hatten hinreißen lassen, sich an dem
Schuldirektor während der Unterrichtsstunden zu vergreifen, wofür sie
bereits empfindlich bestraft worden sind. Angesichts der beiden
Sicherheitsbeamten verlief denn auch die Verteilung der Censuren ohne
jeden Zwischenfall.“ (!901)
„Ein 17 Jahre alter Schüler eines Realgymnasiums, B. aus
Charlottenburg, tötete sich, weil er nicht versetzt worden war, in
einem Fremdenzimmer eines Hotels in der Anhaltstraße durch Cyankali-
und Sublimatdämpfe, die er in mitgebrachten Retorten entwickelt hatte.“
(1905)
„Rußland. Der Wert der Schulzeugnisse in Rußland. Was aus einem
Kutscher alles werden kann, davon weiß der 'Petersburgski Listok' ein
Geschichtchen zu erzählen, das sich wie eine bittere Satire auf den
Formalismus in Rußland liest. Der Kutscher J. K. verspürte Lust, ebenso
eine schöne Carriere zu machen wie die Herren, welche hohe Schulen
besuchen. Den Weg zur Schule hatte J. K. allerdings auch
eingeschlagen; aber er erwies sich als zu beschränkt für die
Schulweisheit. Er versuchte es nachher mit einer Feldmesserschule, aber
auch da reichte sein Gelehrtengenie nicht aus, den knifflichen
Unterricht zu erfassen. Er entschloß sich darum zum Beruf eines
Rosselenkers. In Grodno bei einem Feldmesser fand er als solcher sein
Thätigkeitsgebiet. Aber es ist nun mal dem Menschen gegeben, höheren
Zielen zuzustreben, und so fälschte J. K. sich ein Reifezeugnis der
Ingenieurakademie des Verkehrsministeriums, sagte dem Stall und dem
Kutschbock Ade und zog in die weite Welt hinaus, sein Glück zu
versuchen. Jetzt sehen wir den Abenteurer die wunderbarste Carriere
machen. Im Kreise Bogorodsk wird er als Friedensrichter, dann
Geschäftsführer bei der Verwaltung der Pinsker Eisenbahn, weiter
stellvertretender Sekretär bei der kurländischen Acciseverwaltung und
darauf Bauern-Kommissar. Um die zwei letzteren Posten zu erhalten, dazu
hatte er sich das Reifezeugnis eines klassischen Gymnasiums gefälscht.
Ein so vielseitige Bethätigung und Begabung – kein Mensch hatte je
bemerkt, daß J. K. absolut ungebildet war – mußte naturgemäß dazu
führen, daß dem Manne der Hofratsrang verleihen wurde. Endlich erklomm
J. K. eine hehre Höhe, er wurde Kreischef auf der Insel Oesel. Zufällig
kam man dahinter, daß in den Würden des Kreischefs ein Kutscher
steckte. Ob man ihn vom Staatsdienst entfernte oder ihn zu noch höheren
Rängen beförderte, darüber schweigt das russische Blatt.“ (1901)