Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum
23. September - August 2019

 Erziehung zum Europäer

Als Ergänzung bzw. Vertiefung der Sonderausstellung „Erziehung zum Europäer“
zeigt das Lohrer Schulmuseum im Eingangsbereich ab 4. November bis 16. Dezember 2018
die Sonderausstellung „Flucht und Vertreibung“.
Mit Hilfe von Schulbüchern, Wandbildern und Augenzeugenberichten wird das Thema schwerpunktmäßig
 im 20. Jahrhundert aufgezeigt und folgende Fragen an den Besucher gestellt:
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Die europäische Geschichte ist geprägt von Jahrhunderten der kriegerischen Auseinandersetzungen und dem ständigen Kampf der Nationen um die Vormachtstellung in Europa. Kein Kontinent wurde von so vielen und so blutigen Kriegen überzogen.
Nach den zwei Weltkriegen im 20. Jahrhundert setzte sich mehr und mehr die Einsicht durch, dass die Staaten Europas eine Gemeinschaft bilden sollten, um derartige Katastrophen zu verhindern.
Wandbild aus der Medienkiste „DIE EUROPA-UNTERRICHTSTUNDE“ und Bildausschnitte: Verschiedene Menschen – verschiedene Völker
Wandbild aus der Medienkiste „DIE EUROPA-UNTERRICHTSTUNDE“ und Bildausschnitte:
Verschiedene Menschen – verschiedene Völker

In Bayern wurde 1951 beispielsweise zu diesem Zweck eine Medienkiste mit dem Titel „Die Europa-Unterrichtsstunde“ an den Schulen in Umlauf gebracht, die anhand von vier Schaukästen und zwölf Wandkarten noch sehr unbeholfen aber kindgerecht die Notwendigkeit der übernationalen Zusammenarbeit zu erklären versuchte und zugleich für Toleranz und Verständnis für die nationalen Eigenheiten jedes Volkes warb. Ironischerweise wurden bei diesem Versuch die Klischees von den verschiedenen Nationen aufgegriffen und verfestigt. So wurde z. B. der Franzose als träger, zigarettenrauchender Baskenmützenträger im Gegensatz zum kahlköpfigen fleißigen deutschen Wissenschaftler dargestellt.

Als Vorbild eines geeinten Europa wurden die Vereinigten Staaten von Amerika auf verschiedenen Tafeln dargestellt.
In den Begleittexten heißt es u.a.: „Die USA sind zwar nicht ein Erdteil wie Europa, sondern der Teil eines Erdteils, aber sie sind ein riesiges Land mit vielen Staaten, viel mehr als Europa (…) Dazu kommt, daß in Amerika weit mehr verschiedenartige Menschen leben als in Europa. In Europa sind lauter Europäer, lauter Weiße – in Amerika aber gibt es neben den Weißen, die aus Europa eingewandert sind, auch noch Menschen anderer Rassen. Trotzdem leben alle Staaten und alle Menschen friedlich zusammen, sie führen schon lange keine Kriege mehr untereinander. Weil die amerikanischen Staaten zusammenhalten, leben sie in Frieden und Freiheit, und darum sind sie auch reich und mächtig. (Ein amerikanischer Arbeiter kann sich um den Lohn, den er für 3 Arbeitstage bekommt, einen neuen Anzug kaufen; ein europäischer Arbeiter muß aber ungefähr 3 Wochen arbeiten, bis das Geld für einen Anzug ausreicht.)
Wandbild aus der Medienkiste „DIE EUROPA-UNTERRICHTSTUNDE“. Im Begleittext dazu heißt es u.a.: „Wenn sich all die vielen guten Kräfte der einzelnen Länder Europas vereinigen würden, wäre für alle der Wohlstand gesichert. Der Zusammenschluß würde auch Europa Stärke verleihen, und Stärke würde Schutz und Sicherheit für eine friedliche Arbeit gewährleisten und Angriffe von außen verhindern oder erfolgreich abwehren.“
Wandbild aus der Medienkiste „DIE EUROPA-UNTERRICHTSTUNDE“. Im Begleittext dazu heißt es u.a.:
„Wenn sich all die vielen guten Kräfte der einzelnen Länder Europas vereinigen würden, wäre für alle der Wohlstand gesichert.
Der Zusammenschluß würde auch Europa Stärke verleihen, und Stärke würde Schutz und Sicherheit für eine friedliche
 Arbeit gewährleisten und Angriffe von außen verhindern oder erfolgreich abwehren.“

Weitere Wand- und Schautafeln nehmen Bezug auf die wirtschaftliche Hilfe der USA beim „europäischen Wiederaufbau“ (ERP oder besser bekannt als Marshallplan).

Von besonderer Bedeutung für den damaligen Unterricht waren Schulwandbilder und Wandzeitungen. Das Lohrer Schulmuseum verfügt über einen umfangreichen Bestand von Schulwandbildern aus der Zeit von etwa 1870 bis 1980, darunter auch solche, die Bezug haben zum Thema „Europa“. Sie zeigen auf der einen Seite, wie die schulische Erziehung an der Erzeugung und Tradierung von Feindbildern mitwirkte, und auf der anderen Seite die Versuche nach dem 2. Weltkrieg, entsprechende Vorurteile durch eine gezielte Europaerziehung zu bewältigen oder wenigstens innerhalb der europäischen Völker abzubauen und ein gemeinsames Europa zu schaffen.
Hunneneinfall, Schulwandbild Der Praktische Schulmann, 1930.
Hunneneinfall, Schulwandbild Der Praktische Schulmann, 1930.
Manche Schulwandbilder verdeutlichen die europäische Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit.
Besonders die Furcht vor den asiatischen Völkern des Ostens und des Islam wird in manchen Schulwandbildern deutlich.

Es werden die Anfänge der EU in Form der Montanunion, des gemeinsamen Marktes, der gemeinsamen Währung und Energiepolitik dargestellt. Bemerkenswert sind die in den Bildern enthaltene Aufbruchstimmung und der unerschütterliche Glaube an eine goldene, gemeinsame Zukunft. Freiheit, Frieden, Wohlstand und Arbeit für alle sollten durch die Gemeinschaft gesichert werden. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob und inwieweit sich die damaligen Vorstellungen heute erfüllt haben. So nannte man damals die beabsichtigte gemeinsame Währung Europino, ging in seinen Zielvorstellungen von den „Vereinigten Staaten von Europa“ in Anlehnung an den großen Bruder USA aus und sah in der Atomenergie die wirtschaftliche Rettung und Sicherung Europas gegen die Ölabhängigkeit. Interessant war auch die deutsche Zielsetzung des Gemeinsamen Marktes. 1957 meinte die Europa-Bildzeitung: „Der Gemeinsame Markt fördert die Wiedervereinigung, indem die westeuropäische und westdeutsche Wirtschaft leistungsfähiger werden. Ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung des Kommunismus und jeder anderen Form totalitärer Regime ist die Hebung des Wohlstandes in der freien Welt. So trägt die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auf friedliche Weise zur Gewinnung der Freiheit in Osteuropa und zur Wiedervereinigung unserer Heimat bei!“
Hunneneinfall, Schulwandbild, Tellus-Verlag, 1957
Hunneneinfall, Schulwandbild, Tellus-Verlag, 1957
Manche Schulwandbilder verdeutlichen die europäische Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit.
Besonders die Furcht vor den asiatischen Völkern des Ostens und des Islam wird in manchen Schulwandbildern deutlich.

Einige Wandbilder verdeutlichen aber auch die europäische Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit. Besonders die Furcht vor den asiatischen Völkern des Ostens und den Kräften des Islam fand in Schulwandbildern immer wieder ihren Ausdruck. An den Darstellungen des Hunneneinfalls aus den Jahren 1930 und 1957 zeigt sich, dass die Schürung von Xenophobie und Chauvinismus nicht nur typisch für die NS-Schulpolitik war. So stellt das Wandbild von 1930 die Hunnen als „Teufel in menschenähnlicher Gestalt“ dar und schildert detailgetreu ihre Greueltaten. Die Darstellung von 1957 verzichtet zwar auf diese Deutlichkeit, bemerkt aber im Bildkommentar: „Mongolenregimenter im deutschen Osten zeigen am deutlichsten die ungeheuere Gefahr, von der das Abendland auch heute wieder bedroht ist. Starke Elemente der bolschewistischen Herrschaft in Rußland sind mongolisch bzw. asiatisch. Die Anschauungstafel ‘Hunneneinfall’ möge symbolisch dafür sein, was ganz Europa droht, wenn seine Völker nicht wie einst zusammenstehen und die Flut der asiatischen Völker abzuwehren bereit sind.“ Auf diese Weise wurde die Furcht vor allem Fremden geschickt mit der Bolschewistenangst verknüpft.
Bemerkenswert ist, dass insgesamt in den Schulwandbildern dieser Zeit ökonomische und politische Themen im Vordergrund standen, soziale und kulturelle Bereiche sowie national-emotionale Egoismen usw. aber kaum thematisiert wurden und somit eine umfassende Europaerziehung in den Schulen unterblieb.

Moderne Geschichts- und Fremdsprachenlehrbücher, die Darstellung des Englisch- und Französischunterrichts bereits in den Grundschulen sowie Zeitschriften und Spiele europafreundlichen Inhalts usw. verdeutlichen den Wandel von der nationalen zur paneuropäischen Idee in der Pädagogik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit und runden die Ausstellung ab, die heute aufgrund der allgemeinen Stimmung in Europa eine gewisse Aktualität hat.

Am Museumstag des Landkreises Main-Spessart (23. Sept. 2018) ist die Sonderausstellung „Erziehung zum Europäer“ im Gewölbekeller des Lohrer Schulmuseums bei freiem Eintritt während der regulären Öffnungszeit von 14:00 bis 14:00 erstmals zu sehen.

Ein ergänzender Beitrag in der Ausstellung „Erziehung zum Europäer“:
„Abwehrfront Europa“ im 3. Reich

Als im Verlauf des 2. Weltkriegs die deutsche Niederlage immer deutlicher wurde, entdeckten die NS-Propagandisten Europa als ein nach ihrer Meinung wirkungsvolles Mittel der Propaganda.
Im „Heeresheft für die Hitler-Jugend“ Folge 13/14, 1944 mit dem Titelbild „Abwehrfront EUROPA“ schrieb der Redakteur unter der Überschrift „FESTUNG EUROPA“ u. a.: „Wir sitzen im Inneren der Festung, die der Feind von außen berennt. Aus der Mitte Europas werden die Kräfte an die jeweiligen Brennpunkte der Schlacht geworfen. (…) Gerade in dem Augenblick, in dem die Feinde von allen Seiten die Festung Europa berennen, ist sich der deutsche Soldat mehr denn je seiner Kraft bewußt und fühlt sich das deutsche Volk nun erst recht unüberwindlich.“

Lohrer Zeitung berichtete am 16. Dezember 1944
Lohrer Zeitung berichtete am 16. Dezember 1944

Und die Lohrer Zeitung berichtete am 16. Dezember 1944 unter der Überschrift „Europas Rettung“: „Reden steht jetzt, wo um das Leben gekämpft wird, nicht hoch im Kurs. Sie können auf Wert und Beachtung nur dann Anspruch erheben, wenn sie aus dem Munde von Kämpfern kommen, die selbst ihren Beitrag zum europäischen Freiheitskampf geleistet haben und wenn sie der Rettung Europas vor dem jüdisch-plutokratisch-bolschewistischen Ansturm dienen. In diesem Sinne hat sich die diesjährige Arbeitstagung der Union nationaler Journalistenverbände mit ihren Teilnehmern aus 22 europäischen Nationen zu einem wirklichen Ereignis entwickelt. Hier haben tatsächlich nur Männer ihre Stimme erhoben, die mitten im Kampf stehen, also berechtigt und berufen sind, zu dem Ringen Europas um seine Freiheit, seine neue Ordnung und soziale Gerechtigkeit etwas zu sagen.“ Der Artikel schließt mit den Sätzen: „Europäische Kämpfer haben zu ihren Völkern und zu ihren an der Front stehenden Kameraden über die uns allen gestellte Aufgabe der Rettung Europas gesprochen. Ihre Worte waren von dem Glauben an die siegreiche Lösbarkeit des militärischen wie des politischen Problems Europa getragen. Aus der größten Todesdrohung, unter der unser Kontinent jemals stand, soll nach dem beispiellosen Kampf mit den feindlichen Gewalten jene europäische Welt der Freiheit, Ordnung und sozialistischen Gerechtigkeit hervorgehen, die zu erreichen das schönste Ziel Adolf Hitlers, des deutschen Volkes und seiner europäischen Mitkämpfer ist.“ - insgesamt ein Musterbeispiel einer lügenhaften Verdrehung von Wahrheiten und Tatsachen.
Text: Eduard Stenger, Fotos: Bettina Merz)

Als Ergänzung bzw. Vertiefung der Sonderausstellung „Erziehung zum Europäer“
zeigt das Lohrer Schulmuseum im Eingangsbereich ab 4. November bis 16. Dezember 2018
die Sonderausstellung „Flucht und Vertreibung“.
Mit Hilfe von Schulbüchern, Wandbildern und Augenzeugenberichten wird das Thema schwerpunktmäßig
 im 20. Jahrhundert aufgezeigt und folgende Fragen an den Besucher gestellt:
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Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist von Mittwoch bis Sonntag und an allen
gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger
Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.
(Kontakt: Eduard Stenger, Zum Sommerhof 20, 97816 Lohr a.Main;
Tel. 09352/4960 oder 09359/317,
e-Mail: eduard.stenger@gmx.net)

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